Die Zahl der Flüchtlinge an den EU-Grenzen steigt und steigt, Grenzschützer sind überfordert, Gemeinden sehen sich am Rande ihrer Kräfte: Nicht nur in Deutschland werden die Forderungen nach einer schnellen Begrenzung des Zustroms von Asylsuchenden lauter. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben das offenbar vernommen: Auf dem Gipfeltreffen in Brüssel wird es am Donnerstag in erster Linie um die Frage gehen, wie man die Zahl der Flüchtlinge begrenzen kann.
Ganz vorn dabei sind jene osteuropäischen Staaten, die schon bisher mit ihrer harten Linie in der Flüchtlingskrise aufgefallen sind.
Die Viségrad-Gruppe aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen stellt jetzt eine eigene Truppe auf, um die ungarische Südgrenze zu sichern. Nach Angaben eines EU-Diplomaten wird Tschechien 150 Mann nach Ungarn schicken, die Slowakei 50, mit Polen diskutiere man noch. Wie viel Personal Ungarn selbst stelle, werde die Regierung in Budapest demnächst bekanntgeben.
Auf die Details werde sich die Viségrad-Gruppe bei ihrem traditionellen Treffen vor dem EU-Gipfel einigen. Eine engere Absprache mit Brüssel habe nicht stattgefunden. "Wir müssen uns nicht mit der EU koordinieren", sagte der Diplomat. "Aber wir zeigen, wie schnell man etwas tun kann, wenn man nur will." Man habe die europäischen Partner lediglich informiert - "und sie finden das gut."
Tatsächlich scheinen die Osteuropäer inzwischen weniger isoliert also noch vor ein paar Wochen. Ende September mussten sie von der restlichen EU per Mehrheitsvotum zur Aufnahme von Flüchtlingen verdonnert werden. Doch nun geht es auch den Westeuropäern vor allem um die Begrenzung des Zustroms. "Alle sind überzeugt, dass die Außengrenzen besser gesichert werden müssen", hieß es aus deutschen Regierungskreisen. Diese Haltung findet sich auch im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen wieder, der "Spiegel Online" vorliegt. Die zentralen Forderungen:- "Soforteinsatzteams" der EU-Grenzschutzbehörde Frontex sollen in Risikofällen zur Grenzsicherung entsandt werden, um "umgehend und entschlossen" handeln zu können.
- Technologische Entwicklungen zur Grenzsicherung sollen "umfassend genutzt" werden.
- Die Einrichtung von "Hotspots", in denen Asylsuchende per Fingerabdruck registriert werden, soll beschleunigt werden.
- Noch in diesem Jahr soll eine "spezielle Rückführungsstelle" helfen, abgelehnte Asylbewerber schneller in ihre Heimatländer abzuschieben. Drittstaaten sollen einen europäischen Passierschein akzeptieren, damit Rückführungen zusätzlich erleichtert werden.
- Die Heimatländer von Flüchtlingen sollen mit "umfassenden und maßgeschneiderten Anreizmaßnahmen" dazu bewegt werden, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Mit anderen Worten: Geld für die Rücknahme von Flüchtlingen, oder, wie es in dem Entwurf heißt: "mehr für mehr".
- Flüchtlinge sollen schon in Krisenregionen besser versorgt werden und Zugang zu Bildung und Beschäftigung bekommen - damit sie erst gar nicht nach Europa aufbrechen.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Türkei zu, die rund 2,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen hat. Die EU fordert seit langem, dass Ankara seine Grenze zu Griechenland besser absichert und so den Migrantenstrom bremst. Zwar darf Ankara im Gegenzug kaum darauf hoffen, dass die EU ihr einen Teil der Syrien-Flüchtlinge abnimmt. Dafür aber verspricht das Entwurfsdokument den Türken Visa-Erleichterungen bei Reisen in die EU und umfassende finanzielle Hilfen.
Als strittig gilt noch, ob der Schutz der Außengrenzen des Schengen-Raums Aufgabe der EU oder der betroffenen Länder ist. Deutschland Position sei es, dass die Länder des Schengen-Raums eine gemeinsame Außengrenze hätten, hieß es aus Berlin. Man sei deshalb bereits, Staaten mit EU-Außengrenzen "massiv zu unterstützen".
Juncker geißelt Zahlungsmoral der EU-Staaten
Doch die Unterstützung lässt auf sich warten, wie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kritisierte. Frontex etwa habe 775 zusätzliche Stellen beantragt. Bis jetzt aber seien nur Zusagen für 48 Posten eingetroffen, so Juncker. Auch die Ende September beschlossene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien geht schleppend voran. Die Aktion begann am 7. Oktober mit ganzen 21 Migranten. In der kommenden Woche sollen weitere 100 Personen folgen. Ein Vertreter der EU-Kommission betonte, dass man zunächst mit kleinen Zahlen testen wolle, ob das System funktioniere.
Noch langsamer scheinen die Fortschritte bei der Bekämpfung der Fluchtursachen zu sein, die beim EU-Gipfel Ende September noch das Hauptthema waren. Die Regierungen hatten zugesagt, ebenso wie die EU-Kommission 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zur Verfügung zu stellen. Doch während die Kommission geliefert habe, fehlten von den Mitgliedstaaten 225 Millionen, kritisierte Juncker: "Ich verlange, dass der Europäische Rat morgen diese 225 Millionen Euro bringt."
Noch schlechter sieht es beim syrischen Treuhandfonds aus. Auch in ihn flossen 500 Millionen Euro aus Brüssel, die EU-Staaten aber sind laut Juncker mit 492 Millionen Euro im Rückstand. Beim Afrika-Fonds seien sogar nur neun Millionen der zugesicherten 1,8 Milliarden Euro eingegangen. Der EU-Asylagentur seien 347 zusätzliche Beamte zugesagt worden. "Bis jetzt", meint Juncker, "haben die Mitgliedstaaten 81 Mann geschickt."
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