BERLIN. Aufstand oder ein konstruktiver Dialog? Über den Hergang der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag vom Dienstag ist ein Deutungsstreit entbrannt, der vor allem eines zeigt: Das Nervenkostüm der Abgeordneten, die die Regierung Merkel tragen sollen, ist ziemlich strapaziert, vor allem wenn es um das Thema Flüchtlinge geht.
Tatsächlich verbreiteten einige Mitglieder der Fraktion das Bild einer Rebellion gegen die Kanzlerin.
Im Kern ging es dabei um einen Schlagabtausch über die Frage der Grenzsicherung. Solche Debatten hatte es auch früher in der Fraktion gegeben. Diesmal aber war etwas anders: Es war eine geschlossene Front von ausgewiesenen Fachpolitikern, die Merkel entgegentraten - zwei Politiker aus dem Südwesten vorne weg: Clemens Binninger (Böblingen) und Armin Schuster (Lörrach). Als Kronzeuge für einen Aufstand gegen Merkel taugen die beiden allerdings nicht. Er sei froh, "dass man mit der Kanzlerin eine solche Debatte führen kann", sagt Schuster. Das zu skandalisieren tue ihm "in der Seele weh". Unterschiedliche Ansichten, das aber ist unstrittig, stießen in der Diskussion aneinander.
In der Fraktion ist die Stimmung weit verbreitet, die Politik müsse den Bürgern zeigen, dass sie die unkontrollierte Zuwanderung nicht einfach hinnehme. "Grenzsicherung" ist also das Thema. Die Kanzlerin blieb hart. Ihr Standpunkt: Wer jetzt beginne, Flüchtlinge nach Österreich zurückzuweisen, setze eine Welle in Gang. Auch Österreich und Ungarn müssten dann zurückweisen. Und das führe zu einer Belastung von labilen Ländern wie Serbien und Mazedonien, die gerade erst mit vielen EU-Anstrengungen stabilisiert worden seien. Außerdem: Ein Signal, dass die Belastungsgrenze erreicht sei, löse womöglich nur einen neuen Flüchtlingsschub vor dem Winterbeginn aus.
Die Innenpolitiker hielten dagegen. Armin Schuster erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung das Konzept der Innenpolitiker: "Wir wollen nur, dass die Bundespolizei ihre Arbeit tut, wie sie das seit 1951 immer getan hat." Schuster weiß, wovon er spricht. Bei der Flüchtlingskrise Ende der 90-er Jahre war er Inspektionsleiter bei der Grenzpolizei in Zittau, später in Frankfurt/Oder. "Damals haben wir allein in Zittau wöchentlich mehrere hundert Flüchtlinge aufgegriffen, die illegal über die grüne Grenze kamen. Diese normale polizeiliche Arbeit will Schuster wieder angewandt sehen.
Ist das schon ein Aufstand? Wolfgang Bosbach, sicher einer derjenigen, die nicht durchweg auf Kanzler-Kurs liegen, sagt, "dass sich die Kanzlerin zu 100 Prozent auf die Fraktion verlassen kann". Eine Anspielung auf Einschätzungen, dass etwa ein Fünftel der Fraktion den Flüchtlingskurs Angela Merkels nicht mittrage. Manche machen Stimmung gegen sie und einige in der CSU schüren auch bewusst das Gefühl, es gebe mit Wolfgang Schäuble eine Merkel-Alternative. Aber dass die Union eine noch immer beliebte Kanzlerin und erfolgreiche Wahlkämpferin austauscht, ist eine zumindest mittelfristig sehr abseitige Vorstellung.
Aber ernst nehmen muss die Kanzlerin diese Stimmungen. Selbst ihr gewogene Abgeordnete bemängel "eine gewisse Bockigkeit", wenn es darum geht, etwas gegen die unkontrollierte Zuwanderung zu unternehmen. Immerhin hat Merkel die Transitzonen im Prinzip akzeptiert. Vielleicht, weil sie weiß, dass der Koalitionspartner SPD sich da quer stellt.
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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