Berlin. Zwischen zwei gefliesten Säulen steht die grüne Bank. Eine, wie es sie an vielen U-Bahnstationen in Berlin gibt. Neben dem abgesplitterten Lack und den Scharten, die unzählige Pendler dort eingesessen haben, sind seit Sonntag neue Abnutzungen zu sehen. Brandspuren.
Sieben junge Männer sollen im U-Bahnhof Schönleinstraße versucht haben, einen Obdachlosen anzuzünden. Es ist eine abscheuliche Tat, die bei vielen Berlinern und Wahl-Berlinern über Weihnachten Gesprächsthema war.
Die Gespräche dürften nun noch emotionaler werden. Denn inzwischen steht fest, dass die Tat zusammenfällt mit dem Thema, das die Deutschen derzeit am meisten bewegt: Flüchtlinge - und wie sie das Leben hierzulande möglicherweise verändern.
Nach einer kurzen Öffentlichkeitsfahndung hatten sich sechs der sieben Verdächtigen am Montagabend auf verschiedenen Berliner Polizeiwachen gestellt: ein 15-Jähriger, vier 17-Jährige und ein 18-Jähriger. Kurz darauf nahmen Zivilfahnder den mutmaßlichen Haupttäter fest, einen 21-Jährigen. "Er war derjenige, der brennendes Papier an die Habseligkeiten des Obdachlosen gelegt hat", sagt Karen Müller von der Berliner Staatsanwaltschaft. Inzwischen wurde gegen alle sieben Verdächtige Haftbefehl erlassen.
Die jungen Männer haben eines gemeinsam: Sie sind als Flüchtlinge nach Berlin gekommen. Sechs von ihnen stammen aus Syrien, einer aus Libyen. Ihr genauer Aufenthaltsstatus ist noch ungeklärt. Einige sollen über Aufenthaltsgenehmigungen verfügen, andere befinden sich laut Polizei in laufenden Asylverfahren.
"Alle bis auf einen sind bereits polizeilich aufgefallen", sagt Müller. Dabei sei es auch in mehreren Fällen um Körperverletzung gegangen. Zwei der mutmaßlichen Täter sind nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft 2014 nach Deutschland gekommen, die restlichen fünf seien 2015 und 2016 eingereist. "Sie sind in verschiedenen Unterkünften quer durch Berlin untergebracht", sagt Staatsanwältin Müller.
Sollten die weiteren Ermittlungen den Verdacht bestätigen, hat Berlin nur wenige Tage nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz ein weiteres Gewaltverbrechen durch Flüchtlinge erlebt - diesmal jedoch keinen terroristischen Plot, sondern eine anscheinend beiläufige Tat im öffentlichen Raum. Wie sehr das eine Stadt aufwühlen kann, zeigte sich zuletzt in Freiburg, wo ein Flüchtling nach dem Mord an der Studentin Maria L. in Untersuchungshaft sitzt. Wie wird nun in Berlin die öffentliche Debatte verlaufen?
"Insbesondere während laufender Ermittlungen verbietet es sich, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Wir warnen vor fremdenfeindlichem Populismus und vorschnellen öffentlichen Verurteilungen", sagte am Mittag der Sprecher des Berliner Innensenators, Martin Pallgen.
Berlin gehört zu den sichersten Metropolen der Welt, im vergangenen Jahr sank die Zahl der Gewaltverbrechen auf ein Rekordtief. Trotzdem wird die Hauptstadt häufig durch einzelne, besonders brutale Straftaten aufgeschreckt. Im Gedächtnis geblieben sind etwa Prügelexzesse in U-Bahnhöfen, zuletzt der Angriff eines 27-Jährigen, der eine junge Frau an der Haltestelle Hermannstraße brutal eine Treppe hinunter getreten hat, oder auch der Fall Jonny K.: Der junge Berliner war 2012 nach einem Barbesuch am Alexanderplatz zu Tode geprügelt worden.
Taten wie diese ereigneten sich nicht in extremen, sondern scheinbar alltäglichen Situationen - ähnlich wie im Fall des angezündeten Obdachlosen, denn wie in vielen Metropolen gehören Wohnungslose zum Stadtbild. Im Winter bleiben viele U-Bahnhöfe über Nacht geöffnet, damit Hilfsbedürftige dort schlafen können, Kältebusse schenken Tee aus.
Die Tat vom U-Bahnhof Schönleinstraße ist auch deshalb erschütternd, weil sie sich gegen die Schwächsten der Gesellschaft richtet, die ohnehin oft angefeindet werden. Organisationen, die tagtäglich mit Obdachlosen zu tun haben, berichten sogar von offenem Hass.
Die Bahnhofsmission Zoologischer Garten schreibt auf Facebook: Mitgefühl gegenüber Obdachlosen zeige "die Minderheit" - das machten auch Zuschriften der vergangenen Tage deutlich. In ihnen würden Obdachlose beschimpft und beleidigt, die Tat indirekt goutiert, so die Bahnhofsmission. Die Helfer fragen: "Was macht das mit Jugendlichen, wenn sie uninformiert und nicht sensibilisiert auf Menschen am Rande des Randes treffen?"