BRÜSSEL. Nur wenige Stunden nach dem Brüsseler Spitzentreffen gab es erste Bewegung: Kroatien aktivierte gestern Morgen den sogenannten Krisenmechanismus und bat die EU-Partner um Hilfe für die Flüchtlinge. Zelte, Decken, Lebensmittel und medizinisches Personal würden gebraucht, teilten die Behörden in Zagreb mit. Und auch der griechische Premier Alexis Tsipras bestätigte, dass sein Land 20 000 Wohnungen für Asylbewerber rekrutieren wolle sowie 7000 Plätze in Auffanglagern bereitstellen werde - bezahlt von der EU und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Insgesamt sagten die Ländervertreter zu, 100 000 Zuwanderern ein Obdach zu garantieren.
Acht Stunden lang hatten sich die Regierungschefs von zehn EU-Mitgliedstaaten sowie drei Beitrittskandidaten entlang der Westbalkan-Route in Brüssel so heftig gestritten, dass Diplomaten schon davon sprachen, es gehe "nicht mehr um Flüchtlinge, sondern um die EU als Ganzes", weil einige der Anwesenden die Grundwerte der Union infrage stellten.
Dann verständigte man sich doch noch auf einen 17-Punkte-Plan, der das bisherige Chaos beenden soll. 400 zusätzliche Grenzschutzbeamte werden nach Slowenien beordert. Bis heute Morgen müssen nationale Flüchtlingskoordinatoren benannt sein, um miteinander neu entstehende Schwierigkeiten auf dem kleinen Dienstweg zu lösen.
Die Registrierung der Ankommenden soll vorangetrieben werden, denn fortan - so Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker - gelte der Grundsatz "Keine Registrierung, keine Rechte". Brüssel will einmal pro Woche kontrollieren, ob die Mitgliedstaaten ihre Zusagen auch einhalten. Ungeschminkt bekannten die 13 Staatenlenker in ihrem Abschlussdokument: "Wir werden Flüchtlinge oder Migranten entmutigen, zur Grenze eines anderen Landes der Region zu ziehen." Die Grenzen nach außen sollen wieder dichter werden, die Übergänge zwischen den Mitgliedstaaten verschwinden.
EU und UN sagen großzügige Zuschüsse zu
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach nach dem Treffen verhalten von einer "Annäherung an eine faire Lastenteilung in Europa". Sie wusste, dass die konkreten Bedingungen für die rund 250 000 Menschen, die sich alleine in der vergangenen Woche über den Westbalkan Richtung Europa aufgemacht haben, nicht unmittelbar verbessern dürften.
"Das dauert", sagte ein EU-Diplomat. "Aber man fängt jetzt wenigstens an, daran zu arbeiten." Zu tief hatten Schilderungen des UN-Flüchtlingshochkommissars sowie des Frontex-Chefs die Regierungschefs getroffen. Sie berichteten von Menschen, die durch eiskalte Flüsse waten, matschige Felder durchqueren und auf Beton und Asphalt übernachten. Dass die Flüchtlinge tagelang weder Nahrung noch Wasser erhielten, zeigte das böse Bild einer Union, die ihre Grundsätze längst vergessen zu haben schien.
Das soll sich ändern. Die EU sowie die UN sagten großzügige Zuschüsse zu, damit vor allem kleine Staaten wie Slowenien, Kroatien oder Albanien und Serbien die Ankommenden versorgen können. "Jeder, der Europa betritt, hat einen Anspruch darauf, wie ein Mensch behandelt zu werden", betonte die Kanzlerin. Das gelte ausdrücklich auch für die, die keinen Anspruch auf Asyl haben.
PLANUNGEN IN NRW
Angesichts der Engpässe bei der Unterbringung von Flüchtlingen setzt Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) auf den schnellen Einsatz von winterfesten Holzmodulen in Kommunen. Remmel erinnerte daran, dass auch nach 1918 und 1945 "einfache Baracken" gebaut wurden, um Flüchtlinge unterzubringen. "Und ich finde, das liegt doch nahe, genau das jetzt auch zu tun, wo viele Menschen zu uns kommen."
Der Minister wird dem Landeskabinett heute ein Konzept "Holzbauten für Flüchtlingsunterkünfte" vorstellen. Nach seinen Angaben könnten in Kommunen schnell Baugenehmigungen erteilt werden, sodass bereits im Januar oder Februar erste Holzhäuser erstellt wären. Remmel schloss gestern in Düsseldorf nicht aus, dass auch größere Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes aus Holz gebaut werden könnten. Nach seinen Angaben sind Holzhäuser mit 1100 bis 1600 Euro pro Quadratmeter Fläche teurer als Zelte. Im Gegenzug lägen die Heizkosten von winterfesten Holzhäusern aber niedriger. Je nach Anforderung könnten Holzhäuser auch zwei- und dreigeschossig gebaut werden und bis zu 200 Personen aufnehmen.
Remmel verwies auf eine Laubholzstudie, wonach der Einsatz von Laubholz für größere Gebäude heute technisch problemlos sei. Das Konzept sichere zudem Aufträge für heimische Sägewerke und Holzbetriebe.
Dem Konzept zufolge könnten Holzhäuser innerhalb von drei bis sechs Monaten errichtet werden. Das Modell ist vorrangig für Kommunen gedacht. Am Flughafen Hahn in Rheinland-Pfalz ist bereits ein Gebäude mit mehreren Etagen in Betrieb. "Es gibt etliche Unternehmen, die das bauen können", sagte Minister Remmel gestern. (wgo)
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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