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Samstag, 10. Oktober 2015

Flüchtlingshelfer - Dem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen

Thomas Zitzmann schult Flüchtlingshelfer - Zur Sprache kommen auch persönliche Motive

Herr Zitzmann, Sie schulen Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe. Viele Menschen fassen sich spontan ein Herz und helfen dort, wo Sie gerade können. Was spricht dagegen?
Eigentlich spricht zunächst nichts dagegen. Die Frage ist nur, wie zielgerichtet die Hilfe auf Dauer sein kann. Man kann ja in verschiedenen Bereichen tätig werden. Wer in der Kleiderkammer Sachen sortiert, der muss nicht wirklich etwas über die Hintergründe von Asyl- und Flüchtlingsarbeit wissen. Aber die meisten wollen ja mit Flüchtlingen persönlich in Kontakt treten und ihnen helfen. Und dann ist es erforderlich zu wissen, was ich als Helfer kann und darf.


Was genau bringen Sie den Helfern bei? 
Wir schulen vor allem Freiwillige, die sich in Gruppen engagieren. Die Mitglieder sollen sich zunächst natürlich kennenlernen. Wir klären dann aber über die rechtliche Situation der Flüchtlinge, deren Hintergründe und Lebenslage auf. Wir haben außerdem oft mit einem Online-Spiel "Last Exit Flucht" des UN-Flüchtlingshilfswerks gearbeitet, bei dem man sich in die Rolle des Flüchtlings versetzen kann. Man kann natürlich über ein solches Spiel streiten, aber uns ist der Perspektivwechsel wichtig. Was haben die Spieler dabei gelernt, gefühlt, erfahren? Und was wollen Sie jetzt als Helfer erreichen? Was ist ihre Motivation? Letztlich wollen wir die Erwartungen der Helfer mit den Erwartungen der Flüchtlinge abgleichen.

Welche Erwartungen sind das?
Nur wenige Freiwillige wollen in Hintergrundbereichen arbeiten. Das ist erstmal etwas Positives, kann aber auch schwierig sein. Zum Beispiel dann, wenn man in erster Linie Dankbarkeit erwartet. Natürlich will man für sein Engagement gewürdigt werden. Das ist menschlich und auch nicht ehrenrührig. Ich verstehe, dass die persönliche Begegnung und die direkte Rückmeldung motivierend sein können. Aber Flüchtlingsschutz erfordert in erster Linie Verfahrensgerechtigkeit, also eine faire Einzelfallprüfung des Schutzersuchens. Und Willkommenskultur ist nach unserem Verständnis ein Engagement zur Verbesserung der Lebenslage von Flüchtlingen. Wir leiten deshalb Freiwillige auch zur Reflexion über die Bedarfe und die strukturellen Machtunterschiede beider Seiten an: Aufenthalt, materielle Ressourcen, soziale Netzwerke und so weiter. Eine Begegnung auf Augenhöhe - das wäre ein schönes Ziel.

Können freiwillige Helfer überhaupt mit Anerkennung rechnen?
Ja, oft von Seiten der Flüchtlinge, aus den Willkommensinitiativen, aber öfters auch als Lob von Seiten der Politik. Man sollte jedoch schon in der Lage sein, sich selbst zu bestätigen und zu belohnen. Wer in der Gruppe arbeitet, hat es da einfacher. Hier kann man sich gegenseitig in der Sache bestärken, sehen, was gut oder weniger gut funktioniert und Abläufe optimieren. Ich finde es deshalb gut und wichtig, in Gruppen zu arbeiten.

Gibt es persönliche Motive, die gegen ein freiwilliges Engagement in der Flüchtlingshilfe sprechen? 
Jeder sollte sich erst einmal darüber im Klaren sein, dass überhaupt ein ganz persönliches Motiv im Spiel ist. Auch wenn es der Wunsch ist, altruistisch zu handeln. Persönliche Motive muss keiner verschweigen. Man sollte sie nur reflektieren können. Problematisch ist es allerdings, wenn Helfer glauben, Flüchtlingen überlegen zu sein. Das führt nur zu Konflikten. Aber es gibt schlicht auch Konstellationen, die eine Hilfe unmöglich machen: Menschen, die nicht belastbar sind, Menschen, die wenig Zeit haben. Wer zum Beispiel dauerhaft eine Familie unterstützen will, der braucht einfach gewisse Ressourcen.

Haben Sie das Gefühl, dass freiwillige Helfer die Auseinandersetzung mit Traumata, kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren unterschätzen? 
 Nein, ich erlebe eher, dass diese Gegebenheiten unnötige Ängste und Hemmungen hervorrufen. Denn freiwillige Helfer sollen ja nicht therapeutisch tätig werden. Sie sollen auch keine Sozialarbeit leisten, Flüchtlinge nicht ausfragen oder Entscheidungen für sie treffen. Flüchtlinge, die psychisch belastet sind oder andere gravierende Probleme haben, sollen an entsprechende Fachdienste weitergeleitet werden. Wer glaubt, als Ehrenamtlicher für alles eine Lösung zu haben, der überschätzt sich selbst gnadenlos. Und er zeigt, dass er keine Kenntnisse von professionellen Hilfestrukturen hat.

Was ist mit den scheinbar unermüdlichen Helfern, die von einer 70 Stunden-Woche sprechen?
Ich glaube, es gibt Menschen, die ihre Grenzen tatsächlich überschreiten. Eine Hilfe, die auf Überanstrengung baut, muss früher oder später kollabieren. Wir bieten deshalb Supervisionen für Freiwilligen-Gruppen an, um so etwas zu verhindern. Und wir fordern, dass Freiwilligendienste nicht zur Verdrängung professioneller Sozialarbeit missbraucht werden.

Wie wichtig ist Sympathie bei der Flüchtlingshilfe? 
Das kommt drauf an: Wir erstellen zum Beispiel Profile von Flüchtlingsfamilien und die Helfer können sich ihnen dann selbst zuordnen. Meist läuft das gut. Wenn solche Verbindungen enden, dann liegt es oft daran, dass die Zeit fehlt, Familien umziehen oder dass sich mit dem Status auch Strukturen verändern. Manchmal geraten dann sogar Hilfsorganisationen in Streit um Zuständigkeiten. Mangelnde Sympathie ist in der Freiwilligen-Hilfe ein legitimer Grund dafür, sich zurückzuhalten. Wer allerdings Verpflichtungen eingeht, sollte diesen auch nachkommen, beziehungsweise die Übergänge sicherstellen. Professionelle Arbeit folgt anderen Gesetzmäßigkeiten. Da geht es nicht darum, ob man jemanden mag oder nicht. Für die Arbeit besteht ein Auftrag und die Beschäftigten werden entlohnt.

Was kann ich als freiwilliger Helfer denn realistisch leisten?
Das Wichtigste ist, sich einzulassen. Auch darauf, dass es Probleme geben kann. Es geht darum, als Lotse zu fungieren und Orientierung im Alltag zu bieten. Vielleicht kann man das am ehesten mit Nachbarschaftshilfe vergleichen. Nicht immer muss man alle gleich ins Herz schließen, sondern sich um Mindeststandards im Zusammenleben kümmern. Es gibt Freiwilligen-Strukturen, die ausschließlich mit Flüchtlingen arbeiten, die einen gesicherten Status haben. Das ist in Ordnung, weil sie vielleicht nur über Ressourcen verfügen, die ein anderes Engagement gar nicht zulassen. Wir vom Flüchtlingsrat arbeiten jedoch mit allen. Wir treffen keine Auswahl und unsere Hilfe soll alle erreichen können. Auch jene, die vielleicht bald wieder gehen müssen. Wir richten uns an dem Bedarf der einzelnen Flüchtlinge aus. Wir können das, weil wir nicht nur mit Ehrenamtlichen, sondern auch mit Profis zusammenarbeiten.

Könnte die Zusammenarbeit von Freiwilligen und Professionellen besser aufeinander abgestimmt werden?
Ja, zum Beispiel, was die Sprachangebote betrifft. Davon gibt es sehr viele von vielen verschiedenen Trägern. Aber eine Übersicht gibt es nicht, keinen, der den Hut auf hat. Was es noch unübersichtlicher macht, ist die rechtliche Grundlage: Wer keinen gesicherten Status hat, hat auch kein Recht auf einen Sprachkurs. Da greifen dann andere Angebote von privaten Initiativen.

Integration, so werden wir von politischer Seite zur Geduld ermahnt, dauert mehrere Generationen: Wie wichtig ist Freiwilligenhilfe und kann man sie nachhaltig sichern? 
Wir haben es mit Wellenbewegungen zu tun. Mal gibt es mehr, mal weniger Helfer. Es gibt aber bereits dauerhafte Strukturen und wir sind dafür da, die Freiwilligenarbeit zu beraten, um sie weiterhin zu sichern. Integration ist allerdings eine Frage der Definition: Für uns, den Flüchtlingsrat, geht es in erster Linie um Verfahrensgerechtigkeit bei der Prüfung der Schutzersuchen und um die gesellschaftliche Teilhabe von Flüchtlingen, also den Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt, zur Bildung und zur politischen Beteiligung.

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