Oberberg. „I did not come to Germany for money“, erklärt Morteza (28). Seine Heimat im Iran hat er verlassen, um in Deutschland ein Leben in Frieden und Freiheit zu führen. Über die Türkei und Griechenland, wo er seine Freundin Monireh (29) kennengelernt hat, ist der junge Elektroingenieur nach Deutschland und schließlich nach Bergneustadt gekommen, wo das iranische Paar nun lebt. Zu ihrem neuen Leben sollte auch eine ausgelassene Silvesternacht gehören, die beide gemeinsam in Köln erleben wollten. In dieser Nacht wurde der Traum von einem Leben in Frieden und Freiheit in Deutschland zerstört.
Schon als die beiden am Abend des 31. Dezembers im Kölner Hauptbahnhof ankamen, fielen ihnen die vielen arabisch aussehenden Männer auf. „Überall wurde Alkohol getrunken und eine aggressive Stimmung lag in der Luft“, erinnert sich Morteza. Schon da seien viele Männer seiner Freundin zu nahe gekommen, hätten sie in einer fremden Sprache angesprochen und versucht, sie zu berühren. Um der Menschenmasse zu entgehen, begab sich das junge Paar ans Rheinufer und sah sich hier das Feuerwerk an. Um 1 Uhr gingen sie zurück zum Bahnhof, kämpften sich zum Gleis durch und warteten hier auf einen Zug nach Gummersbach. „Ich sah andere Mädchen, die angefasst wurden und weinten. Ich hatte alle Hände voll zu tun, meine eigene Freundin zu beschützen. Überall waren Männer. Es waren auch viele Polizisten am Bahnhof. But they just walking“, erzählt Morteza.
Als um 7:30 Uhr morgens der erste Zug nach Gummersbach fährt, beginnt der eigentliche Spießrutenlauf. Ungefähr zehn arabisch aussehende Männer, alle betrunken, setzten sich im Zug direkt neben das Paar. Wieder wird Monireh angefasst, Morteza schubst die betrunkenen Männer weg. Die beiden wechseln den Waggon, doch die Horde folgt ihnen. „Wenn du aussteigst, machen wir dich fertig“, drohen die Männer und legen dabei ihren Finger in einer eindeutigen Geste an den Hals. „Da dachte ich, der IS sei in Deutschland angekommen“, erinnert sich Morteza an seine wachsende Angst.
Immer wieder flohen die beiden in ein anderes Abteil, baten Fahrgäste um Hilfe. „But they just look, niemand hat geholfen.“ Mehrfach drückte Morteza den Alarmknopf, doch niemand meldete sich. Schließlich verbarrikadiert sich das Paar auf der Zugtoilette, betätigt den Alarmknopf hier nochmal und endlich meldet sich der Zugfahrer. „Please call the police“, bat Morteza um Hilfe. Die beschämende Antwort: „Ihr seid doch alles Asylanten. Das ist nicht mein Problem.“
Während Morteza die Vorkommnisse schildert, blickt Monireh schweigend zu Boden. Seit Silvester hat sie die Wohnung kaum noch verlassen. Sie hat Angst mit dem Bus zu fahren, Angst, die Treffen der örtlichen Flüchtlingsinitiative zu besuchen und Angst, einkaufen zu gehen. „Schon in der Erstunterbringung in Dinslaken musste ich meine Freundin ständig vor Übergriffen durch andere Flüchtlinge beschützen“, erklärt Morteza, dass die Silvesternacht nur ein trauriger Höhepunkt war. Den Traum von einem Leben in Deutschland haben die beiden begraben. Hier fühlen sie sich nicht mehr sicher. Sie ziehen ein Leben in der Türkei einem Leben in Deutschland vor und wollen zurück.
Auch Flüchtlinge, die die Silvesternacht in Köln nicht miterlebt haben, haben seitdem eine Sorge mehr. Sie haben Angst um ihre Sicherheit, weil sie befürchten, mit den Tätern in einen Topf geworfen zu werden. „Alle unsere Bewohner verurteilen die Taten scharf, sorgen sich aber, dass die Deutschen jetzt in jedem Flüchtling einen Täter sehen“, sagt Martina Mitzschke, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Roten Kreuzes in Oberberg, das mehrere Flüchtlingsunterkünfte im Oberbergischen unterhält. „Privat werden auch unsere Mitarbeiter seit Silvester immer wieder gefragt, ob man nun Angst vor allen Flüchtlingen haben muss.“
Angriffe gegen Flüchtlinge, wie jüngst in Köln, gab es im Oberbergischen glücklicherweise nicht. „Aber wir haben alle Antennen ausgefahren“, ist sich Rainer Ochel, Flüchtlingskoordinator im Oberbergischen Kreis, der Brisanz des Themas bewusst.
Einen Vorfall im Gummersbacher Stadtteil Bernberg bezeichnet Siegfried Frank, Sprecher der Stadtverwaltung, bislang als Einzelfall. Hier hätten Anwohner Mitarbeiter der Stadt daran gehindert, eine Wohnung für Flüchtlinge herzurichten. Dabei soll der Satz „Wir wollen keine Kölner Verhältnisse“ gefallen sein. „Nach einem klärenden Gespräch hat sich die Situation aber beruhigt. Die Anwohner waren besorgt, weil bis zu sieben Menschen auf 70 Quadratmetern untergebracht werden sollen. Wir konnten ihnen vermitteln, dass wir über diese Lösung auch nicht glücklich sind, die Alternativen aber Massenunterkünfte oder Obdachlosigkeit heißen“, so Frank.
Aufgrund der massenhaften Drohanrufe seit der Silvesternacht stellte der Zentralrat der Muslime in Deutschland gestern die Telefone ab, berichtete der "Spiegel". Eine gesteigerte Islamfeindlichkeit im Oberbergischen ist glücklicherweise noch nicht spürbar, sagt Aziz Kocygit vom Alvetischen Kultur- und Solidaritätsverein Oberberg. Sorgen macht er sich trotzdem: „Wenn nun ein Generalverdacht gegen Muslime um sich greift, schadet das auch unserem Zusammenleben hier vor Ort“, so Kocygit.
„Ängste, die bis Silvester nur latent vorhanden waren, schlagen jetzt voll durch“, meint Daniel Wolff, Mitglied der Bergneustädter Flüchtlingsinitiative „hier.leben“. Ehrenamtliche Mitarbeiter hat man ebenso wie beim DRK seit der Silvesternacht nicht verloren, „aber in der Bevölkerung merkt man doch eine gewisse Zurückhaltung, ein Abwarten“, so Wolff. Wer Flüchtlinge schon vor dem Jahreswechsel kritisch beäugte, hat nun Sorge, dass sich hinter jedem Fremden ein potentieller Täter verbirgt. Andere haben zu Recht Angst, dass die Silvestervorkommnisse Wasser auf den Mühlen der rechten Populisten sind, was denen nun noch mehr Zulauf bescheren könnte. Viele Flüchtlinge und Muslime im Allgemeinen haben Angst, mit den Tätern von Köln in einen Topf geworfen zu werden und fürchten um ihre Sicherheit.
Ganz am Ende des Gesprächs mit Morteza hebt auch Monireh ihre Augen und traut sich zu sprechen: „Ich entschuldige mich bei den Deutschen für das, was in Köln passiert ist.“ Die junge Frau hat alleine tausende Kilometer zurückgelegt, um Frieden zu finden, und traut sich nun nicht mehr aus ihrer Wohnung – und entschuldigt sich für die Täter, die daran schuld sind und vor denen auch sie Angst hat. Denn beide wissen, dass sie zu einer Gruppe (Flüchtlinge) gehören, denen augenscheinlich auch viele Täter angehören, weswegen ihnen Hilfe versagt wurde – „das ist nicht mein Problem.“
Die Situation macht sprachlos und zeigt gleichzeitig eine neue Dimension der Angst: Die Angst der Flüchtlinge voreinander. „In Deutschland gibt es gute Regeln! Aber die müssen eingehalten werden. Das machen manche Flüchtlinge nicht“, sagt Morteza. Aber das machen doch auch viele Deutsche nicht, oder? Wenn sich alle an die Regeln halten würden, hätte die Angst voreinander und vor dem Fremden keine Chance – und junge Frauen wie Monireh, gleich welcher Herkunft, müssten keine Angst davor haben, auf die Straße zu gehen.
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