Die Bonner Ökonomin Isabel Schnabel, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise:
Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschlands Wirtschaft?
Das lässt sich kaum beziffern. Ich glaube aber, dass die ökonomischen Grenzen in dieser Frage nicht entscheidend sind, sondern die politischen. Wir sehen beispielsweise bei der aktuellen Debatte um die Belegung von Turnhallen in Bonn, dass ab einem bestimmten Punkt Akzeptanzprobleme entstehen. Die Kosten dagegen sind für den Staat tragbar, wenn es gelingt, die Zahl der Zuwanderer angemessen zu begrenzen.
Aber wo liegt die Grenze?
Konkrete Zahlen machen keinen Sinn. Die Begrenzung muss über das Aufstellen von Kriterien erfolgen und nicht über eine Zahl, nach deren Erreichen die Grenzen geschlossen werden. Außerdem sollte das Problem auf europäischer Ebene angegangen werden.
Zuletzt war der Sachverständigenrat von bis zu 14,3 Milliarden Euro Staatsausgaben für Flüchtlinge im Jahr 2016 ausgegangen.
Wir haben Szenarien berechnet, die unter anderem von der Anzahl der Flüchtlinge abhängen. Die 14,3 Milliarden Euro unterstellen 750 000 Flüchtlinge in diesem Jahr. Es ist aber derzeit nicht abzusehen, wie viele Menschen wirklich nach Deutschland kommen, daher sind alle Berechnungen mit großer Unsicherheit behaftet. Klar ist allerdings: Die Flüchtlinge werden kurzfristig mit erheblichen Kosten verbunden sein. Angesichts der guten Haushaltslage sind diese derzeit jedoch tragbar.
Was sind die langfristigen wirtschaftlichen Folgen?
Die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird entscheidend dafür sein, wie sich die Kosten entwickeln, insbesondere für die Sozialsysteme. Die Integration wird umso schwieriger, je mehr Menschen zu uns kommen. Hinzu kommt, dass der Mindestlohn die Flexibilität des Arbeitsmarktes eingeschränkt hat. Das könnte eine Hürde vor allem für gering qualifizierte Flüchtlinge werden.
Sollen Flüchtlinge weniger verdienen als andere Arbeitnehmer?
Nein, damit würde man die unterschiedlichen Gruppen im Arbeitsmarkt gegeneinander ausspielen. Der Sachverständigenrat plädiert dafür, Flüchtlinge von Anfang an als Langzeitarbeitslose einzustufen und damit den Mindestlohn für diese Gruppe in den ersten sechs oder besser noch zwölf Monaten auszusetzen. Dann hätten die Flüchtlinge bessere Chancen auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig gilt: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit in Deutschland ausgesprochen gut, das erleichtert die Integration.
Einige Ökonomen sehen die Staatsausgaben für Flüchtlinge als Konjunkturprogramm.
Wir brauchen derzeit kein Konjunkturprogramm. Der deutschen Wirtschaft geht es ausgesprochen gut. Außerdem beruhen diese Berechnungen häufig auf unrealistischen Annahmen. Einen wirtschaftlichen Gewinn wird Deutschland durch die Flüchtlingskrise wohl nicht haben. Aber wir nehmen die Flüchtlinge ja auch aus humanitären, nicht aus ökonomischen Gründen auf. Wir sollten uns zudem bewusst machen, dass es nicht allein um die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise geht. Wir werden in Zukunft vermutlich mit enormen globalen Wanderungsbewegungen konfrontiert sein. Wir müssen daher einen Weg finden, unseren humanitären Verpflichtungen nachzukommen und gleichzeitig Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.
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