ZAGREB/BUDAPEST. Und noch ein Bollwerk gegen die ungeliebten Flüchtlinge. Der ungarische Generalstabschef Tibor Benö erschien gestern höchstpersönlich zu ersten Vermessungsarbeiten am ungarisch-serbischen Dreiländereck bei Kübekhaza. Dort begann Ungarn mit dem Bau eines neuen Zauns an der Grenze zum EU-Nachbarland Rumänien. Holzpfähle wurden bereits im Boden fixiert. Der neue Zaun soll erst einmal nur ein paar Kilometer lang sein. Ob er vielleicht demnächst die ganze Grenze auf 448 Kilometern absperren soll, ist unklar.
Rumäniens Reaktion war scharf. "Mauern, Polizeihunde, Waffen - das sieht wie in den 1930er Jahren aus", schimpfte Ministerpräsident Victor Ponta. Dabei gibt es bisher hier gar kein Flüchtlingsproblem. In diesem Jahr wurden laut Grenzpolizei nur 963 illegale Flüchtlinge aufgegriffen. Da hat es Nachbar Bulgarien schon mit anderen Zahlen zu tun.
200 Flüchtlinge wurden gestern an der illegalen Einreise aus der Türkei gehindert. Seit Jahresbeginn wurden gut 17 000 nicht registrierte Migranten an den Grenzen des Landes aufgegriffen. Daher wird der schon bestehende 30 Kilometer lange Zaun an der Grenze zur Türkei deutlich verlängert.
Zunächst sind die Probleme an der serbischen Grenze eskaliert. Am alten Grenzübergang an einer Landstraße bei Röszke setzte Ungarns Polizei Tränengas und Wasserwerfer gegen mehrere hundert aufgebrachte Flüchtlinge ein, während diese ein Grenztor durchbrachen. Vorher hatten sie Steine und Holzstücke über den kleinen Grenzzaun geworfen und "Öffnen, öffnen" gerufen. Später zündeten sie auch Autoreifen an. Offen war zunächst, ob Serbiens Polizei eingreifen würde. Ungarns Außenminister Peter Szijarto hatte seinen serbischen Kollegen Ivica Dacic darum gebeten. Dieser Grenzübergang war wegen des früheren Andrangs von Flüchtlingen offiziell geschlossen worden.
An den Ausschreitungen von Röszke seien vor allem junge männliche Flüchtlinge beteiligt, berichteten ungarische Medien. Hingegen hätten sich die Familien mit Kindern zwischenzeitlich entschlossen, über Kroatien den Weg nach Westeuropa zu suchen. Denn dort ist die Stimmung gegenüber Flüchtlingen ganz anders.
Die Regierung in Zagreb verbreitete gestern Zuversicht. Alles sei unter Kontrolle, versicherte Regierungschef Zoran Milanovic im Parlament. Er stellt sein Land als großzügig und ausgesprochen menschlich dar - und kündigt an, alle Flüchtlinge könnten sein Land ungehindert passieren. Im Gegensatz zur Linie Ungarns, dessen Grenzzäune eine "Bedrohung" seien. Kroatien sei eben ein christliches Land, das die Forderungen des Papstes nach Flüchtlingshilfen ernst nehme. Es werde alles besser machen.
Bei aller demonstrativen Freude und Menschlichkeit begibt sich das jüngste EU-Mitglied möglicherweise auf unsicheres Terrain. Die Regierung geht stillschweigend davon aus, dass sich alle Flüchtlinge geduldig registrieren lassen. Viele von ihnen hatten aber bisher eine solche erkennungsdienstliche Behandlung einschließlich der Abgabe von Fingerabdrücken abgelehnt.
Bei den 181 Personen, die gestern von der Polizei bis elf Uhr bei der Stadt Tovarnik aufgegriffen wurden, mag die Registrierung noch gehen. Bis zum Mittag zählte die Polizei aber schon doppelt so viele Menschen.
Bisher habe sich noch keiner verweigert, sagt Innenminister Ranko Ostojic stolz. Was wird aber in den nächsten Tagen, wenn er rund 4000 Flüchtlinge erwartet? Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der Fähigkeit der Verwaltung dieses kleinen und armen Landes, ein solches Problem zu meistern.
Sollten die Flüchtlingszahlen dramatisch steigen, könnten schnell innenpolitische Probleme entstehen. (dpa)
NRW-REAKTIONEN
Angesichts der wöchentlich 13 000 neuen Flüchtlinge in NRW hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) das Angebot des Bundes begrüßt, in Kasernen oder anderen Bundeseinrichtungen bundesweit 40 000 Erstaufnahmeplätze zu schaffen. Kraft verlangte aber, dass die Frage, wer wie viel für Flüchtlinge zahle, auf dem Gipfel am 24.September geklärt werden müsse. Innenminister Ralf Jäger (SPD) sprach von der "Woche der Entscheidungen". Kraft und Jäger sehen nach der ersten Runde bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen "kleinen Schritt in die richtige Richtung".
Nach Angaben Jägers ist aber unklar, wozu die neuen "Verteilzentren" dienen: Generell zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen oder zum Unterbringen von Bewerbern "mit niedriger Schutzquote"?
Jäger hofft, dass die zugesagten 800 Bundeswehrsoldaten die im Schnitt sechs Monate dauernden Asylverfahren beschleunigen. Für CDU-Landeschef Armin Laschet bieten die Zusagen des Bundes die Aussicht auf eine "Verschnaufpause". (wgo)
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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