Europa öffnet seine Türen für Flüchtlinge - aber nur langsam. Zwar verständigten sich die 28 Innenminister der EU gestern Abend darauf, insgesamt 160 000 Asylbewerber auf die Mitgliedstaaten zu verteilen.
Aber die Entscheidung fiel halbherzig aus: Zunächst dürfen rund 40 000 Menschen aus italienischen und griechischen Auffanglagern in die Gemeinschaft. Die übrigen 120 000, deren Aufnahme Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprochen hatte, müssen noch warten - zumindest bis zum 8. Oktober, wenn die Innenressort-Chefs wieder zusammenkommen.
"Das ist ein erster, wichtiger Schritt", betonte Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach dem Treffen gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve. "Aber das ist noch nicht genug. Es ist noch weit entfernt von dem, was wir an Solidarität innerhalb der Europäischen Union erwarten."
Tatsächlich ist es mit der Einigkeit der Union nicht weit her: Neben Großbritannien, Irland und Dänemark, die grundsätzlich nicht am Asylsystem der EU teilnehmen, sperren sich auch Ungarn, die Slowakei und Tschechien weiter gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen.
Zunächst dürfen jene Flüchtlinge in die EU weiterreisen, die zwischen dem 15. August 2015 und dem 16. September 2017 in Italien und Griechenland registriert wurden und noch werden. Außerdem gilt die befristete Sonderregelung lediglich für jene, die aus Ländern stammen, bei denen die Asyl-Anerkennungsquote 75 Prozent oder mehr beträgt. Das dürfte vor allem für Opfer der Kriege in Syrien und Eritrea gelten. Zumindest für diese Gruppe konnten die Minister von einer "wichtigen politischen Botschaft" sprechen - auch wenn die Innenressort-Chefs weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Damit bleibt vor allem Ungarn, das heute seine Grenze zu Serbien endgültig schließen will, vorerst auf rund 54 000 Asylbewerbern sitzen, die Premier Viktor Orban ansonsten an andere Mitgliedstaaten hätte weiterreichen können.
Die weitreichenden Pläne von Kommissionspräsident Juncker sind erst einmal gestoppt. Sein Vorschlag einer permanenten Aufnahmequote kam nicht einmal zur Sprache. Dabei wäre ein Einigung dringend gewesen: Nach Deutschland und Österreich kündigten auch die Slowakei und die Niederlande gestern die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an. Das bittere Wort vom "Schengen-Domino" machte die Runde, obwohl die beteiligten Länder ausnahmslos betonen, es werde sich keineswegs um "längerfristige Maßnahmen" handeln.
Die Stimmung blieb gereizt und der Sündenbock schien klar: Deutschland. "Wir haben damit gerechnet, dass die Bundesrepublik irgendwann einmal reagieren musste", sagte die österreichische Innenressort-Chefin Johanna Mikl-Leitner. Das Zauberwort dieser Krisensitzung hieß "Hotspots", also jene, an die EU-Außengrenze vorgelagerten Aufnahmezentren, in denen - so die österreichische Politikerin - "Kriegsopfer von Zuwanderern aus sicheren Drittstaaten getrennt werden können, damit auch wirklich nur die in die EU gelassen werden, die ein Recht auf Asyl haben". Zwei dieser Einrichtungen gibt es bereits.
Gestern stimmten auch Italien und Griechenland zu, nachdem man ihnen "adäquate finanzielle Unterstützung" zugesagt hatte. Gleichzeitig werden die Rufe nach Bestrafung derer, die eine Asyl-Einigung verhindern, immer lauter. Wer Asylsuchende aufnimmt, darf mehr Schulden machen dürfen, lautet eine Idee, die Deutschland aber wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen die Stabilitätsregeln ablehnt. Ein anderer Weg scheint eher möglich: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, soll finanzielle Unterstützung für die Aufnahmeländer leisten. Man könnte sich sozusagen von der Pflicht, den Kriegsopfern eine neue Heimat zu geben, freikaufen.
BUNDESWEHR BIETET HILFE IN FLÜCHTLINGSKRISE AN
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat Ländern und Kommunen weitreichende Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise angeboten. Soldaten und Zivilbeschäftigte der Bundeswehr könnten unter anderem Einrichtung und Betrieb der geplanten Verteilzentren für Flüchtlinge übernehmen, sagte die Ministerin gestern in Berlin. Als mögliche Standorte nannte sie Berlin-Schönefeld und Soltau-Fallingbostel. Eine Entscheidung über Orte und Einsatz der Bundeswehr sei aber noch nicht gefallen. In München gibt es faktisch schon ein solches "Drehkreuz".
Völlig eigenständig könnte die Bundeswehr die regionalen Verteilzentren für neu ankommende Flüchtlinge nicht betreiben - Polizeiaufgaben dürfen die Soldaten nach dem Grundgesetz nicht übernehmen. Aus Sicht des Verteidigungsministeriums würden die Verteilzentren den Erstaufnahmeeinrichtungen noch vorgeschaltet. Die Menschen sollten von dort innerhalb weniger Tage möglichst geordnet und registriert weitergeleitet werden.
Spekulationen über einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten etwa als Hilfspolizisten bei der Grenzsicherung erteilte von der Leyen eine klare Absage: Nach dem Grundgesetz könnten Soldaten und ziviles Personal "überall dort Amtshilfe leisten, wo es nicht polizeiliche oder hoheitliche Aufgaben sind". Abgesehen davon könne man helfen, "so weit die Fantasie reicht".
Bislang habe die Bundeswehr
20 000 Schlafplätze an 46 Standorten geschaffen, sagte von der Leyen. Nach Informationen aus Ministeriumskreisen wurden allein 10 000 Betten in den vergangenen 10 Tagen zur Verfügung gestellt. (dpa)
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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