KASSEL. Eine Frau fleht die Polizisten an, doch es gibt kein Durchkommen. Sie dürften derzeit nicht zurück in die Unterkunft in Kassel-Calden, sagt ein Beamter den Flüchtlingen. Die Einsatzkräfte bewachen den Eingang - einige mit Schutzschild und Helm. Sie wollen zwei Gruppen verschiedener Nationalitäten voneinander trennen, die am Sonntag mehrfach aneinandergerieten. Dabei wurden elf Flüchtlinge und drei Polizisten verletzt.
Zu Dutzenden stehen die Flüchtlinge seit Stunden vor der Notunterkunft. Nicht alle haben an diesem kalten Sonntagabend eine Wolldecke.
Berichte über Auseinandersetzungen in überfüllten Notunterkünften mehren sich. Erst in der vergangenen Woche wurden bei einem Streit in Calden etwa 60 Menschen durch Reizgas leicht verletzt. Auch in Ellwangen und Heidelberg in Baden-Württemberg, im thüringischen Suhl sowie in Leipzig, Dresden und Heidenau in Sachsen kam es zu Schlägereien unter Flüchtlingen. Ausgangspunkt sind oft Streitereien um eher banale Ereignisse wie ein Vordrängeln in Warteschlangen. Viele sind froh, in Ruhe schlafen zu können und in Frieden zu leben. Bei anderen steigt jedoch der Frust - auch weil sie wenig Chancen sehen, Asyl zu bekommen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht sich daher für eine getrennte Unterbringung von Christen und Muslimen aus. "Wir müssen alles tun, um weitere Gewaltausbrüche zu verhindern, eine getrennte Unterbringung auch nach den Religionen halte ich für absolut sinnvoll", sagte der Vize-Chef der Gewerkschaft, Jörg Radek, der "Welt". Weil sich die unterschiedlichen Gruppen solidarisierten, komme es vermehrt zu Massenschlägereien. Bei der Masse an Flüchtlingen sei es logistisch jedoch unmöglich, nach Religionen oder Nationalitäten zu trennen, sagt Harald Merz vom Regierungspräsidium Kassel. Auch politisch sei dies nicht gewollt.
Ausgangspunkt für die Schlägerei in Calden war eine Rangelei zwischen zwei Männern während der Essensausgabe, wie Polizeisprecher Torsten Werner sagte. Am Nachmittag sei der Streit erneut aufgeflammt und habe eine Auseinandersetzung zwischen Albanern und Pakistanern ausgelöst. Jeweils 60 Menschen auf beiden Seiten seien aufeinander losgegangen. Acht Flüchtlinge wurden verletzt - einige schwer.
Gegen Abend eskalierte die Gewalt dann: Etwa 300 Albaner prügelten sich mit 70 Pakistanern und anderen Flüchtlingen. Sie schlugen unter anderem mit Stöcken aufeinander ein und sprühten Reizgas. Als die Beamten die Lage beruhigen wollten, wurden auch sie angegriffen. Drei Polizisten und drei weitere Flüchtlinge wurden verletzt.
Die kleinere Gruppe flüchtete schließlich aus der Einrichtung. Es dauerte Stunden, bis die Polizei die Lage unter Kontrolle gebracht hatte. Etwa 100 Flüchtlinge wurden mit Bussen in andere Unterkünfte gebracht. Sie sollen nach Angaben des Regierungspräsidiums Kassel nicht nach Calden zurückkehren. Bürgermeister Maik Mackewitz (parteilos) forderte Videoüberwachung in der Einrichtung, um Täter zu überführen. Zudem müssten die Flüchtlinge mehr Platz und Privatsphäre bekommen.
In der Ende Juli eröffneten Aufnahmeeinrichtung leben etwa 1500 Menschen aus rund 20 Nationen. Die Zeltstadt war für 1000 Menschen ausgelegt, wurde aber dann erweitert. Flüchtlinge aus Syrien, Albanien, Pakistan und vielen anderen Ländern sind dort untergebracht. (dpa)
NRW LEHNT GETRENNTE UNTERBRINGUNG AB
NRW lehnt trotz vereinzelter Schlägereien unterschiedlicher religiöser Gruppen in Notunterkünften die getrennte Unterbringung von Muslimen und Christen ab. "Asylbewerber müssen aber konsequent die deutsche Rechtsordnung einhalten", sagte NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) dieser Zeitung.
Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, hatte die Trennung von Muslimen und Christen in Notunterkünften gefordert. Schneider hält das aber nur für die letzte "denkbare Option", wenn Massenschlägereien und Gewalt in Flüchtlingsunterkünften zunehmen. Ziel bleibe es, ethnische und religiöse Gruppen gemeinsam unterzubringen. Auch das NRW-Innenministerium stellte klar, dass NRW "in Aufnahmeeinrichtungen keine Gewalt duldet". Auch unterschiedliche Religionen müssten friedlich zusammenleben. "Das gilt für jeden, der bei uns und mit uns leben möchte."
Nach Massenschlägereien von Flüchtlingen in Unterkünften in Kassel, Leipzig und Suhl hatte auch Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die getrennte Unterbringung nach Herkunft befürwortet. Während in Bayern und Thüringen unterschiedliche Ethnien häufig getrennt werden, setzt NRW auf "das friedliche Miteinander zwischen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen von der ersten Stunde".
Schneider machte den Asylbewerbern aber klare Vorgaben. Auch für Flüchtlinge, die Probleme mit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hätten, gebe es kein Entgegenkommen. "Mann und Frau sind lauf Verfassung gleichberechtigt. Dieser Satz gilt für alle Kulturen, die bei uns leben." Als Grundvoraussetzungen für eine Integration sieht Schneider neben der Verkehrssprache Deutsch die Akzeptanz der Rechtsordnung. CDU-Bundesvize Julia Klöckner sprach sich dafür aus, bei Nichtbeachtung der Verfassungsregeln auch Leistungskürzungen für Flüchtlinge zu prüfen. (wgo)
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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