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Dienstag, 29. September 2015

Die große Angst vor den Fremden

In der EU tobt trotz jüngster EU-Beschlüsse vor dem Hintergrund der größten Flüchtlingswanderung seit dem Zweiten Weltkrieg ein erbitterter Streit über die Verteilung. Vor allem Griechenland und Italien, wo die meisten Menschen zunächst ankommen, müssen entlastet werden. Warum sehen viele osteuropäische und baltische Staaten schon die Aufnahme weniger Hundert Flüchtlinge als "Problem"? Ein Überblick:
Ungarn Das Land ist als Durchgangsstation nach Westeuropa Brennpunkt der Flüchtlingskrise geworden. Die massenhafte Einwanderung erfülle die Menschen nicht nur in Ungarn "mit Angst", sagte der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orbán. Während es in anderen Staaten vor allem kleine Parteien oder Gruppen seien, die Fremdenhass schüren, sei es hier die Regierung selbst, so Kitty McKinsey, Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. In einer gemeinsamen Erklärung haben 22 Organisationen der ungarischen Zivilgesellschaft ihre Regierung aufgefordert, im Umgang mit der Flüchtlingskrise Menschenrechte zu respektieren und nicht zu kriminalisieren. Ungarns größte Tageszeitung "Népszabadság" kommentierte: "Was wir heute als moderne Völkerwanderung bezeichnen, ist den zwei Kriegen der USA im Irak und in Afghanistan und dem Scheitern des "Arabischen Frühlings" geschuldet. In beiden Fällen wollten die USA mit Waffengewalt Demokratien errichten (...) Und in beiden Kriegen erhob sich aus dem Gewirr der diktaturfeindlichen Kräfte eine einzige Bewegung, die wusste, was sie wollte: der Islamismus ..."
Auch Kroatien ist Haupttransitland. Rund 75 000 Menschen seien dort in den vergangenen zehn Tagen angekommen, berichtet das kroatische Innenministerium. Fast alle Migranten, die Kroatien erreichen, werden mit Bussen und Zügen an die ungarische Grenze gebracht und durchgeschleust. Kroatien wollte sich nach Regierungsangaben als vorbildlich und besonders human präsentieren. Unter dem gewaltigen Ansturm ist an eine eigentlich geplante Registrierung der Menschen aber nicht zu denken. Nach den jüngsten EU-Beschlüssen soll das Land 568 Flüchtlinge dauerhaft aufnehmen. 
Der große Andrang an den Grenzübergängen hat Slowenien veranlasst, Flüchtlinge in kleinen Gruppen ins Land zu lassen. Sollte der Ansturm jedoch zu groß werden, werde er mit den Nachbarstaaten über die Einrichtung eines Korridors für die Flüchtlinge beraten, sagte Sloweniens Ministerpräsident Miro Cerar. Laut der slowenischen Botschafterin in Deutschland ist das Land bereit, bis zu 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Slowenien hat bisher knapp 2000 Flüchtlinge registriert. 
Rumäniens Präsident Klaus Iohannis spricht sich gegen Pflichtquoten aus. Das Land hat sich in der EU freiwillig verpflichtet, rund 1800 Flüchtlinge aufzunehmen, will aber nicht über diese Zahl hinausgehen. Die EU fordert 2475. Wie der Nachbar Bulgarien hat Rumänien die Sicherung seiner Grenze verstärkt. Beide Länder gehören nicht zum Schengenraum, in dem es an Innengrenzen grundsätzlich keine Kontrollen mehr gibt. 
Das Land ist mitten im Wahlkampf - am 25. Oktober wird das Parlament neu gewählt. Zahlreiche Gruppierungen und Parteien nutzen das Flüchtlingsthema für populistische und vor allem anti-islamische Parolen. Ewa Kopacz, Chefin eines seit acht Jahren regierenden linkskonservativen Bündnisses, regiert ein Land, in dem einst die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc (Solidarität) entscheidenden Anteil an der politischen Wende 1989 hatte. Vor dem EU-Flüchtlingsgipfel plädierte Kopacz für eine "souveräne Entscheidung" eines jeden Landes, doch auf dem EU-Gipfel stimmte Polen, mit Abstand größter EU-Nettoempfänger, der Kompromisslösung zu - und muss nun Tausende aufnehmen. Kopacz wird Umfragen zufolge nicht wiedergewählt, 56 Prozent der Bürger sind gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Bewohner des durch und durch katholischen Landes bilden ethnisch einen fast monolithischen Block. Mit einem Ausländeranteil von 0,27 Prozent rangiert man diesbezüglich in der EU auf dem letzten Platz. "Mehr Wissen, weniger Angst" heißt eine Kampagne polnischer Tageszeitungen. 
Regierungschef Robert Fico erklärte, man werde Quoten "niemals zustimmen" - und stimmte auch dem EU-Kompromiss nicht zu. "Die Bevölkerung ist strikt gegen die Aufnahme von Flüchtlingen", sagt ein Diplomat und verweist auf historische Gründe. "Wir waren jahrzehntelang im Ostblock eingesperrt und haben keine Erfahrung mit der Integration anderer Kulturen. Es hilft uns nicht, wenn man uns Quoten aufzwingen will und wir dann von anderen Europäern dafür kritisiert werden, dass es nicht funktioniert." Die Slowaken wählen im März 2016 das Parlament. 
Tschechien lehnt Quoten gleichfalls ab. "Die Tschechen haben Angst vor dem Unbekannten", sagt die Soziologin Yana Leontiyeva von der Prager Wissenschaftsakademie. In einer Umfrage hätten sich 70 Prozent gegen die Aufnahme von Menschen aus Syrien ausgesprochen. Präsident Milos Zeman unterstützt eine Petition des Vorgängers Vaclav Klaus, die vor "einer künstlichen Vermischung der Nationen, Kulturen und verschiedenen Religionen" warnt. Baltische Staaten In den latent fremdenfeindlichen baltischen Staaten, bis 1990 zwangseingegliedert in die Sowjetunion, stößt die Aufnahme von Flüchtlingen auf massiven Widerstand, obwohl Estland, Lettland und Litauen nur einige hundert Asylanträge verzeichneten. Experten verweisen auf historische Gründe: Insbesondere in Estland und Lettland spiele "die Erinnerung an die sowjetische Besatzung und die Ansiedlung von Russen" eine Rolle, sagt Andres Kasekamp vom Institut für Regierungsführung und politische Wissenschaft im estnischen Tartu: "Esten und Letten haben massenhafte Einwanderung erlebt, die sie fast zu Minderheiten im eigenen Land gemacht haben." 
Das 1,3-Millionen-Volk traute sich freiwillig nur 150 Flüchtlinge zu. Ex-Außenministerin Kristiina Ojelund wurde weltweit zitiert, als sie meinte, es gelte "die weiße Rasse" zu verteidigen. Nun teilt die EU Estland 523 Flüchtlinge zu, und Regierungschef Taavi Rõivas nickte das Ergebnis mit verkniffener Miene ab. Möglicherweise auch, weil zuvor Riho Terras, Befehlshaber der Streitkräfte, vor den Folgen der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge für die Sicherheit des Landes gewarnt hatte. Die "blinde Intoleranz" seitens einiger Interessengruppen werde zum Sicherheitsrisiko, sagte der Generalleutnant. "Ein paar hundert Flüchtlinge sind keine Gefahr für unseren Staat", ein Risiko sei dagegen, wenn die Verbündeten glaubten, Estland sei nicht bereit, seine Verpflichtungen zu erfüllen, erhoffe sich aber militärische Hilfe angesichts des "imperialistischen Verhaltens Russlands". 
Nach dem EU-Gipfel berief Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma eine Sondersitzung ihres Kabinetts ein, das dann einer "freiwilligen Aufnahme", wie es hieß, von 526 Flüchtlingen zustimmte. Ursprünglich wollte das Land nur 250 akzeptieren. Hält die Flüchtlingskrise an und käme es zu weiteren Verteilungen durch die EU, dürfte der Streit in der Mitte-Rechts-Regierung neu aufflammen. Kritiker wie Martins Bondras, Chef der Lettischen Regionalen Vereinigung, hatte gesagt: "Flüchtlinge können Verbindungen zum Islamischen Staat haben, der seine schrecklichen Verbrechen auch bei uns verüben könnte." Litauen Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite hatte stets eine verbindliche Zuweisung abgelehnt: "Wir sind bereit zu helfen, aber wir möchten ... die Möglichkeit haben, unsere Solidarität selbst zu zeigen, ohne gezwungen zu werden." Daraus wurde nichts. 
Litauen stimmte schließlich dem EU-Kompromiss zu, wonach das Land mit seinen 2,9 Millionen Einwohnern bis Ende 2017 rund 1100 Flüchtlinge aufzunehmen hat. Freiwillig war man zu 325 bereit. Gegen anonymen Rassenhass im Internet hat das Litauische Zentrum für Menschenrechte (LZTS) kürzlich mit dem Video-Experiment "Fremdschämen" reagiert: Zwei Litauer und ein Schwarzer hatten sich auf eine Stelle als Darsteller in einem Werbespot beworben. Der schwarze Mitbewerber bittet die Einheimischen, ihm eine Facebook-Nachricht ins Englische zu übersetzen, was die Litauer zunächst mit Hinweis "Es ist rassistisch, es ist schlimm" ablehnen. Darin steht: Der "Affe" solle gefälligst "zurück nach Afrika" verschwinden, weil sein "Gestank" nicht nach Litauen gehört. Auf der LZTS-Homepage heißt es, Tausende würden täglich wegen ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Die litauische Schriftstellerin Justina Bakutyte führt die Fremdenfeindlichkeit auf die russische Besetzung zurück. In dieser Zeit hätte es einfach keine andere Rassen und sexuellen Neigungen geben dürfen. Bakutyte: "Zu diesem Thema sind wir sehr ungebildet."

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