Köln. Die Worte der Vorsitzenden Richterin Julia Roß bringen es auf den Punkt: "Ich habe keine Ahnung wer sie sind und wie sie heißen." Vergeblich hat die Juristin im ersten Prozess um die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht versucht, etwas zu dem Vorleben des 22-Jährigen herauszufinden - doch der Angeklagte macht keine Angaben. Auch sein Anwalt schweigt weitgehend. Nur soviel scheint klar: Der junge Mann hat keinen Pass, stammt aus Tunesien, sein Name in den Ermittlungsakten ist nach eigenen Angaben falsch, und seine Herkunft hat der 22-Jährige nach Angaben des Gerichts verschleiert.
Verurteilt wird er zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe mit Bewährung. Er hatte mit einem Komplizen (18) einem Touristen aus Indien auf der Hohenzollernbrücke desen Kamera gestohlen. Der 18-Jährige erhält nach dem Jugendstrafrecht eine Schuldfeststellung und muss sich zwei Jahre straffrei führen.
Große Probleme bei der Identitätsfeststellung hat auch Richter Amand Scholl beim gestrigen Verfahren wegen des Diebstahls eines Handys auf dem Bahnhofsvorplatz. "Ich habe keinen Pass", lässt der 23-Jährige über seinen Anwalt verkünden. Geführt wird der Mann bei den Behörden unter dem Namen "Younes A.", doch der Richter stellt klar: "Sie können auch jede andere Person sein." Und erzählt von einem Verfahren, in dem ein Verdächtiger 19 unterschiedliche Nationalitäten aufwies. Der 23-Jährige gibt an, einen Asylantrag in Dortmund gestellt zu haben, aber Richter Scholl hat andere Informationen: "Das Bundesamt für Migration weiß davon nichts."
Der Prozess zeigt, vor welchen Problemen Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichte stehen, wenn sie die Identität der sich in Deutschland aufhaltenden Asylbewerbern zu klären versuchen. "Es ist unser zentrales Problem. Über die Identität läuft alles in Deutschland", sagt ein leitender Ermittler der Rundschau.
Erstmals wird bei einer Gerichtsverhandlung auch deutlich, wie sehr ein Opfer unter den Vorfällen der Silvesternacht leidet. Eine 20-Jährige kam mit Freundinnen aus einem Dorf in Baden-Württemberg zum Feiern nach Köln. Kaum war sie am Bahnhof angekommen, wurde sie in einer Menschenmenge von "vielen ausländischen Männern" begrapscht und ihr das Handy gestohlen. Die junge Frau verfolgte den Dieb und bekam ihr Telefon wieder, aber vergessen kann sie den Abend in Köln wohl so bald nicht.
Mit Menschenmengen könne sie nun nicht gut umgehen, sagt sie: "Ich werde generell mehr aufpassen". Als sie an Neujahr in die Innenstadt zurückkehrte und den Dom anschaute, "habe ich mich nicht gut gefühlt und meine Tasche festgehalten".
Zu ihrer Aussage wird das Opfer von einer Gerichtsmitarbeitern begleitet, die Menschen in erlebten Ausnahmesituationen im Zeugenstand betreut. Nach ihren Worten steht der Angeklagte nach Aufforderung seines Anwaltes mit gesenktem Blick auf, entschuldigt sich und sieht in diesem Moment aus, wie ein Kind, das etwas angestellt hat.
Wenig später hält Staatsanwältin Monika Volkhausen ihr Plädoyer. Das Sicherheitsempfinden der Allgemeinheit sei nachhaltig beschädigt worden. Der vom Angeklagten begangene Diebstahl sei "ein Mosaikstein im Gesamtgeschehen". Eine milde Strafe kommt für sie nicht infrage: Sie fordert sechs Monate auf Bewährung und eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
Verteidiger Florian Storz hat für dieses Strafmaß kein Verständnis, übt scharfe Kritik: "Hier ist die ganze Zeit so verhandelt worden, als ob mein Mandant für die ganze Silvesternacht verantwortlich zu machen ist." Dabei sei er nur ein ganz kleines Licht, eine "Wurst". Die Forderung des Anwalts: eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen - sein Mandant wäre hätte damit keine Vorstrafe.
Richter Scholl verkündet sein Urteil unverzüglich: sechs Monate auf Bewährung und 20 Tagessätze, das sind in diesem Fall 100 Euro. Danach erzählt Scholl noch eine private Anekdote: Einmal, so erzählt er, im Urlaub in Washington, habe ihm ein Amerikaner gesagt, Köln sei die schönste Station seiner Europareise gewesen. "Heute wird nur noch gefragt: Was ist in Köln los?" Und dann folgt eine Bemerkung, die für einen Richter mehr als unüblich ist: Auch darum, sagt er, sei es in dieser Verhandlung gegangen. Zurück bleiben irritierte Gesichter.
STAND DER ERMITTLUNGEN
13 Männer sitzen nach den gravierenden Vorfällen der Silvesternacht in Untersuchungshaft. Gegen einen wird in Zusammenhang mitsexueller Gewalt ermittelt, gegen die anderen wegen Eigentumsdelikten. Dabei wurden hauptsächlich Mobiltelefone gestohlen.
Derzeit arbeitet die Staatsanwaltschaft an weiteren Anklagen, Details dazu wurden nicht genannt. Erst wenn die Anklagen zugestellt sind, könne über neue Gerichtstermine nachgedacht werden. Aktuell haben die Kölner Richter keine neuen Verfahren terminiert, sagt ein Sprecher.
Mittlerweile sind genau 1095 Anzeigen bei der Polizei eingegangen, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber der Rundschau. 600 Menschen geben an, Opfer einer Sexualstraftat geworden zu sein.
Die Kölner Staatsanwaltschaft hat bislang gegen 82 Beschuldigte Ermittlungsverfahren eingeleitet. "Davon sind 14 Verfahren wegen mutmaßlicher Sexualdelikte", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft weiter. Die mutmaßlichen Täter seien "weit überwiegend" Asylbewerber, Asylsuchende oder Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhielten. Die meisten von ihnen kommen aus Marokko, Tunesien oder Algerien.
Die Polizei teilte mit, dass nach den Vorfällen und den intensiven Kontrollen rund um den Hauptbahnhof die Raubstraftaten, Trickdiebstähle oder Gepäckdiebstähle stark zurückgegangen sind. Auch bei den Wohnungseinbrüchen wird ein Rückgang festgestellt. (ta)
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