LONDON. Noch bevor sie ihre Sitzungen begonnen und Milliarden-Hilfen verkündet hatten, wurde den Vertretern aus rund 70 Ländern ein emotionaler Kurzfilm vorgespielt: Darin wird der 13-jährige Ahmed aus dem syrischen Aleppo gezeigt, wie er seine Tasche packt und sich auf den Schulweg macht. Es folgt ein harter Szenenwechsel. Sanitäter des Roten Kreuzes tragen Tote auf einer Bahre durch staubige Straßen voller Schutt und Geröll, sie transportieren Verletzte ab und behandeln kranke Kinder und Frauen.
"Wenn ich es nicht mache, wer würde dann helfen?"
Dazwischen die Zahlen des Leids: Seit fünf Jahren dauert der Bürgerkrieg in Syrien nun bereits an. Hunderttausende starben durch Bomben. Millionen Menschen sind auf der Flucht oder benötigen dringend Unterstützung. "Wenn ich es nicht mache, wer würde dann helfen?", fragt dann eine junge Frau im Rote-Kreuz-Pulli und es klingt wie ein Appell aus der Krisenregion an all die Politiker und Verantwortlichen, die gestern bei der Syrien-Geberkonferenz in London zusammenkamen und dem Einspieler folgten.
Der Ruf wurde gehört. Die Weltgemeinschaft sagte den Flüchtlingen und Notleidenden in der Krisenregion gestern bis zu elf Milliarden Dollar zu, umgerechnet etwa 9,8 Milliarden Euro, zu. Zahlreiche Länder stockten ihre Zahlungen für internationale Hilfsorganisationen auf, auch Deutschland wird deutlich mehr beisteuern als bislang. Die Bundesregierung versprach insgesamt 2,3 Milliarden Euro bis 2018, allein 2016 zahlt Berlin 1,1 Milliarden Euro. Die Gelder fließen vor allem an das Flüchtlingswerk UNHCR und das Welternährungsprogramm. Kanzlerin Angela Merkel würdigte die Zusagen der internationalen Gemeinschaft als "wichtiges Signal".
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobte den Erfolg der Konferenz: "Noch nie wurde so viel Geld an einem Tag für eine einzelne Krise gesammelt." Die Katastrophe müsse ein Ende haben, sagte Merkel nicht nur mit Blick auf das Bürgerkriegsland, sondern auch auf die Nachbarländer Türkei, Jordanien und Libanon. Dort haben mehr als vier Millionen Menschen in Lagern, Dörfern und Städten Zuflucht gefunden, aber die Menschen ächzen unter der immer schwerer werdenden Last.
Merkel würdigte wiederholt die Anstrengungen dieser Länder und dankte ihnen für die "großartige Leistung", dass sie "ihr Leben und ihren Wohlstand teilen". Ihre Worte klangen, als richte sie sie nicht nur an die Menschen im Nahen Osten, sondern auch an jene Deutsche, die seit Monaten ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik kritisieren. Sie steht unter massivem innenpolitischen Druck. "Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat", schob sie nach.
Weil einige Staaten Hilfszusagen aus den vergangenen drei Geberkonferenzen nicht eingehalten haben, ist es laut Hilfsorganisationen immer wieder zu Engpässen in Syrien, in der Grenzregion und in den Flüchtlingslagern gekommen. Merkel bezeichnete den Umstand als "unerträglich" . Das dürfe nicht noch einmal geschehen. Die Folge der gebrochenen Versprechen: Lebensmittelknappheit, medizinische Unterversorgung, Hoffnungslosigkeit. Und Flucht. Für die Kanzlerin und ihre europäischen Kollegen ging es auch darum, die Situation in Syrien und den Anrainerstaaten zu stabilisieren, um den Exodus zu stoppen. "Die Bundesregierung ist überzeugt, dass die große Bewegung von Flüchtlingen dadurch gelöst werden kann, dass wir vor Ort die Fluchtursachen bekämpfen", sagte die Regierungschefin.
Die zusätzlichen Finanzmittel sollen nicht nur für Essen, Unterbringung und medizinische Versorgung verwendet werden, sondern allen Flüchtlingskindern eine schulische Ausbildung garantieren. Damit wollen die Geldgeber bewirken, "dass es keine verlorene Generation in Folge der Syrienkrise geben wird", so die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg. Zudem gehe es um Ausbildung und Arbeit für Erwachsene in den Region rund um das Kriegsland. Die EU werde, so Merkel, alles daran setzen, die Exportbedingungen aus diesen Ländern zu verbessern, um dort Jobs zu schaffen.
Entwicklungsminister Gerd Müller (CDU) betonte die Bedeutung des Wiederaufbaus und der Stabilisierung in Syrien und der Region. Er forderte einen umfassenden "Marshallplan" in Anlehnung an jene Wiederaufbauhilfe im Nachkriegseuropa.
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