Berlin. Thomas de Maizière gilt als loyaler Parteisoldat, der seiner Kanzlerin eng verbunden ist. Doch in der Flüchtlingskrise sieht es gelegentlich so aus, als stelle der CDU-Minister seine eigene Überzeugung über den politischen Willen von Angela Merkel. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Vor einem Monat ernannte Merkel Kanzleramtschef Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator, was in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckte, der Innenminister habe die Sache nicht mehr im Griff. Jetzt muss de Maizière eine gerade erst erteilte Anweisung an das Bundesamt für Migration (BAMF) zurücknehmen, wonach Syrer im Regelfall nur noch eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr erhalten hätten.
Nicht nur von der Opposition ist der Innenminister dafür hart angegangen worden. Auch aus den Reihen des Koalitionspartners hagelt es Kritik. "Ich bin aus allen Wolken gefallen", sagt der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka. De Maizière tanze der Kanzlerin und dem Koalitionspartner auf der Nase herum, meint Ulla Jelpke von der Linkspartei. Ein Parteikollege des Innenministers beschreibt die Situation anders. Er sagt: "De Maizière ist innerlich zerrissen zwischen seiner Loyalität zu Merkel und seiner eigenen Meinung in der Flüchtlingsfrage."
Doch was ist eigentlich geschehen? Anfang der Woche - also schon vor dem jüngsten Asyl-Kompromiss der Koalition - ergeht ein mündlicher Erlass des Bundesinnenministeriums an das Flüchtlingsamt in Nürnberg. Das BAMF wird aufgefordert, syrische Asylbewerber wieder intensiver zu ihren Asylgründen zu befragen. Sie sollen nicht automatisch als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt werden, sondern als Menschen, die hierzulande "subsidiären Schutz" genießen. Zu diesem Zeitpunkt bedeutet das zwar, dass die Syrer künftig nur noch eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr erhalten sollten. Der Familiennachzug wäre für sie aber weiterhin möglich. Die Öffentlichkeit erfährt erst einmal nichts von dem Erlass.
Dann kommen am Donnerstag die Parteivorsitzenden der großen Koalition zusammen, um weitere Maßnahmen in Sachen Asyl zu beschließen. Sie verkünden, dass Menschen, denen "subsidiärer Schutz" gewährt wird, zwei Jahre lang keine Angehörigen mehr nachholen dürfen sollen. Das wird zwar von der Opposition und von Flüchtlingshilfsgruppen kritisiert. Die Aufregung hält sich aber in Grenzen, weil davon laut Statistik nur wenige Menschen betroffen wären. Im Oktober hatten lediglich 181 Menschen einen solchen eingeschränkten Schutz erhalten. Das waren gerade einmal 0,6 Prozent aller bearbeiteten Anträge.
Am Donnerstagnachmittag treffen sich Regierungsmitglieder dann mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt in großer Runde. Ein Teilnehmer sagt hinterher, der Bundesinnenminister habe die Ministerpräsidenten dort über den mündlichen Erlass vom Wochenbeginn informiert. Doch mehrere SPD-Ministerpräsidenten bestreiten das. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) sagt: "So haben wir nicht gewettet." Den Ministerpräsidenten sei vermittelt worden, die Aussetzung des Familiennachzugs betreffe nur rund 1700 Menschen und deren Angehörige und nicht Hunderttausende Syrer. Fakt ist: Auch nach dem Treffen mit den Länderchefs dringt über den Syrer-Erlass nichts an die Öffentlichkeit.
Der Erste, der darüber vor einem Mikrofon spricht, ist de Maizière selbst. Er sagt am Freitag, man werde den Syrern künftig sagen: "Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz". Nach den neuen Regeln bedeutet das: ohne Familiennachzug.
Erst jetzt bricht das große Protest-Gewitter über de Maizière herein. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt fragt, ob dies wohl ein Patzer oder eine geheime Agenda der großen Koalition sei. "Es kann schon sein, dass er es einfach mal versucht hat, um zu sehen, ob er damit durchkommt", spekuliert ein Innenexperte.
Zuspruch erhält der Innenminister von einigen Unionspolitikern. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagt, er könne die Einschätzung von de Maizière zum Status der Syrer nachvollziehen, "weil sie fachlich und juristisch richtig ist, und weil ich es schon länger für bedenklich halte, dass wir die Rechtslage inzwischen allzu oft durch politische Haltung ersetzen". Doch was bedeutet das eigentlich für die Menschen, um deren Schutz hier so hart gerungen wird? Nicht nur in der Opposition besteht die Sorge, dass sich alleine durch die Debatte der vergangenen Tage jetzt auch mehr syrische Frauen und Kinder auf die gefährliche Schlauchboot-Reise nach Europa machen werden - aus Angst, der Familiennachzug werde ausgesetzt.
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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