Flüchtlings- und Terrorthema hängen enger zusammen, als der Politik lieb ist.
Eine Szene, Sonntag, in irgendeinem ICE in Deutschland. Den Platz gegenüber nimmt ein bärtiger, junger Mann ein. Er packt seine Lektüre aus, ein Buch auf Arabisch. Darf mir mulmig werden, keine 48 Stunden nach Paris? Mir wird...
Bundespolizisten kontrollieren fünf Reihen vor mir einen anderen Mann. Der sieht aus wie der auf dem Fahndungsfoto der französischen Polizei. Mir wird wieder mulmig. Darf mir? Mir darf...
Die Nachrichten belegen, was die meisten vermutet haben: Die Terroristen, die sich vor dem Stade de France in die Luft gesprengt haben, wollten eigentlich ins Innere des Stadions. Darf ich mir vorstellen, was jetzt in Deutschland los wäre, wären die Bomben dort hochgegangen? Ich darf. Wie Hunderttausende anderer Deutsche, wie Millionen Europäer seit Freitag. Angst herrscht nicht nur in Paris. Und es ist keine Hysterie, sich das einzugestehen.
"Paris ändert alles", sagt Markus Söder, der in Bayern für die Finanzen zuständig ist. Das wiederum ist nicht nur übertrieben - das ist Unsinn. Paris ändert nichts an der Existenz der Mörderbanden des Islamischen Staates. Paris ändert auch nichts am Spek-trum der Möglichkeiten, die die Welt hat, darauf zu reagieren. Und die Welt hat Erfahrung damit. Nicht erst seit diesem schwarzen Freitag, dem 13.11., sondern spätestens seit jenem 11. September 2001, seit 9/11. George Bush rief damals den Krieg gegen den Terror aus - und konnte ihn doch nicht gewinnen. Afghanistan wurde - phasenweise - vom Terror befreit, dauerhafte Wirkung hat das nicht gezeigt. Erst recht nicht in Irak. Hunderttausende Tote säumen den Weg der westlichen Invasion. Unter ihrem Eindruck gedieh - auch der Islamische Staat.
Es ist die alte Gewissheit, die diese Erfahrungen belegen: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Aber kann das heißen: Wir predigen nur noch Nächstenliebe und tun nichts? "Wir leben von der Mitmenschlichkeit, von der Nächstenliebe." Diese Sätze stammen von der Bundeskanzlerin. Sie hat sie nicht gesagt zur Begründung ihrer Flüchtlingspolitik, Angela Merkel hat sie gesprochen nach den Anschlägen von Paris, während François Hollande sich im Kriegszustand wähnt.
Beides ist richtig. Natürlich muss der IS mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Mördermenschen, die ihre Mitmenschen in purer Willkür hinrichten, religiös und/oder politisch verbrämt, müssen zur Strecke gebracht werden. Mit den Mitteln des Rechtsstaates, wenn man ihrer lebendig habhaft wird; mit aller Härte, wenn es anders nicht geht. Dazu gehört auch, das lukrative Waffengeschäft einzudämmen und den Terroristen den Geldhahn zuzudrehen und auch den Unterstützerländern, wie das die G20 gestern in Belek beschlossen haben. Mit dem IS kann man nicht verhandeln - die Illusion hat hoffentlich niemand, der in diesen Tagen Verantwortung trägt.
Wer so gegen den IS vorgeht, hat viel zu tun. Er riskiert das Leben eigener Soldaten in Syrien. Kann irgendein Politiker Europas ausschließen, dass es auch die Soldaten seines Landes sein werden? Das kann er nicht. Wer so gegen den IS vorgeht, hat auch in Europa selbst viel zu tun. Es ist, beispielsweise, an der Zeit, die Proportionen geradezurücken: Nachrichtendienste gehören nicht verhöhnt, weil sie (auch Freunde) abhören. Nachrichtendienste gehören gestärkt. Wie Verfassungsschutz und Polizei. Auch, wenn das keine Garantie für den Erfolg ist. Aber es ist eine Voraussetzung.
Frankreich hat - gerade mal zehn Monate ist der Anschlag auf "Charlie Hebdo" her - die neuen Attentate nicht verhindern können. Die Täter, einige einschlägig bekannt, lebten, wie man jetzt weiß, zum Teil in Belgien. Die Türkei hat Frankreich gewarnt - all dies hat die Taten von Paris nicht verhindern können. Da ist also noch viel zu tun.
Sicherheit ist der Garant für Freiheit. Man darf die beiden nicht gegeneinander ausspielen. Kontrollen sind nicht angenehm, aber sie sind nichts prinzipiell Verwerfliches. Deshalb steht auch der sogenannte Schengen-Raum auf dem Prüfstand. Die Freizügigkeit innerhalb der EU ist ein hohes Gut. Gefährdet sie aber die Sicherheit, wird sie eingeschränkt werden müssen. Ende der Bequemlichkeit. Zumindest zeitweise. Lieber in Aachen eine halbe Stunde im Stau stehen und ein Gefühl der Sicherheit haben, als...
Der konkrete Kampf gegen die konkreten Kämpfer des IS ist das eine - die Bekämpfung der Entstehungsursachen dieser barbarischen Ideologie das andere. Hier gibt es seit dem Wochenende Anlass zu vorsichtigem Optimismus, was eine politische Lösung angeht. West und Ost haben den Syrienkrieg über Jahre so gut wie ungehindert eskalieren lassen, haben Hunderttausende von Toten in Kauf genommen in dieser vermeintlich regionalen Auseinandersetzung. Sie sehen jetzt, wie falsch und vordergründig und fahrlässig das war. Erst in der Flüchtlingswelle, jetzt in der Terrorwelle.
Vorsicht, Gleichsetzung? Nein, natürlich nicht! Weder in der platten Gleichsetzung von Flüchtlingen mit potenziellen Terroristen. Erst recht nicht in der perfiden Söder-Diktion: "Nicht jeder Flüchtling ist ein Terrorist", was unterstellt: viele aber schon. Aber Flüchtlings- und Terrorwelle haben dieselben Ursachen und deshalb gilt für beide: Es müssen politische Lösungen her. Die Politik des Abwartens und Zuschauens geht zu Ende. Wer es ernst meint mit der Bekämpfung dieser Ursachen, wird auch viel, viel Geld in die Hand nehmen müssen. Auch zum Aufbau eines gigantischen Entwicklungsprogramms für den Nahen Osten.
Bis das so ist, wird es den Flüchtlingsstrom nach Europa geben. Und solange es den gibt, wird es ein Gebot der Mitmenschlichkeit sein, diesen Menschen zu helfen. Auch das wird ein hartes Stück Arbeit werden. Europa wird sich daran messen lassen, ob es in dieser Frage seine Werte wirklich lebt. Oder ob es das Flüchtlingsproblem ein paar "Naiven" mit Angela Merkel an der Spitze überlässt. Das heißt aber nicht, der Illegalität und dem Betrug die Hand zu reichen. Wer als Flüchtling kommt, gehört registriert. Mindestens das.
Denn es ist das eine Paradoxon, dass kein Flugpassagier in Deutschland die Maschine besteigen kann, wenn er eine Handschere im Handgepäck hat, aber gleichzeitig Hunderttausende unkontrolliert die Grenzen überschreiten können. Und es ist das zweite Paradoxon, dass eine Politik , die nicht weiß, wie viele überhaupt zu uns gekommen sind, auch nicht überzeugend behaupten kann: Terroristen sind nicht darunter. Wer nicht weiß, wer kommt, weiß auch nicht, wer nicht kommt.
So hängt denn mehr miteinander zusammen, als man wahrhaben will. Ja, es ist schön zu postulieren, man dürfe die Flüchtlings- und die Terrorthematik nicht miteinander vermengen. Sie sind es leider schon. Ja, es ist richtig: Der Islam gehört nicht nur nicht unter Generalverdacht, er ist davon freizusprechen. Ja, es ist richtig: Abschottung kann nicht das Rezept sein, sondern nur gelingende Integration. Richtig ist aber auch: So gut wie der gesamte Terror der vergangenen 15 Jahre steht unter dem religiösen Vorzeichen des Islam.
"Wir schaffen das", sagt Angela Merkel. Nach diesem Wochenende ist zu ergänzen: Wir müssen das schaffen - mit Herz, aber auch mit Härte.
» Gewalt erzeugt Gegengewalt. Aber kann das heißen: Wir predigen nur noch Nächstenliebe und tun nichts? «
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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