Bergisch-Gladbach. Joachim Gauck findet für sein Anliegen ein prägnantes Bild. Wenn er Deutschland als Person ansprechen würde, würde er sagen: "Du, das hätte ich von Dir nicht erwartet, das gefällt mir." Und dann, meint der Bundespräsident, würde er sagen: "Gut gemacht!" Seine Zuhörer, rund 450 Frauen und Männer, die sich in Bergisch Gladbach in der Hilfe für Flüchtlinge engagieren, können sich in diesem Moment als Teil dieses Deutschlands fühlen, als Stellvertreter der Hundertausenden Helfer, für die sie dieses Lob entgegennehmen: "Gut gemacht!"
Der Bundespräsident auf Mission, auf Ermutigungs-Mission.
Einen Vormittag hat sich Gauck Zeit genommen, um sich einen Eindruck zu verschaffen von den ganz konkreten Problemen, vor die der Zustrom der Flüchtlinge eine Stadt stellt. Bergisch Gladbach, die kleine, immer im Schatten des großen Nachbarn Köln stehende Großstadt, steht an diesem Tag für alle Städte und Gemeinden, die sich seit Monaten beinahe nur mit einer Frage beschäftigen: Wie können wir die Menschen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak unterbringen, die seit Wochen ins Land strömen und ein Dach über dem Kopf brauchen?
Der schwarze BMW mit dem Staatsstander am Kotflügel fährt in Bergisch Gladbach am Morgen zuerst in einer Flüchtlingsunterkunft vor, die die Stadt bereits im vergangenen Jahr gekauft hatte. Das ehemalige Verlagsgebäude des nach Köln verzogenen Bastei-Lübbe-Verlags baute die Verwaltung mit Millionenaufwand mit dem Ziel um, Flüchtlinge aus unzureichenden Unterkünften herauszuholen. Das neue Heim, so die Planung, sollte der Stadt in der Flüchtlingsfrage auf Jahre Luft verschaffen. Im Mai wurde es eröffnet, im Juni war die Unterkunft komplett belegt.
Gauck wird von den Bewohnern mit Applaus empfangen, ein Mann überreicht dem Staatsoberhaupt einen Strauß gelber und roter Rosen, bevor der Tross der Bundespräsidenten ins Gebäudeinnere zieht. Kameras und Reporter müssen draußen bleiben.
Kontrastprogramm eine Stunde später. Auch in der vom Roten Kreuz betriebenen Unterkunft Katterbachstraße empfangen die Bewohner Gauck mit Applaus. Doch die Menschen hier wohnen in Leichtbauhallen, die Wege zwischen den Baracken sind mit Kies befestigt. Zum Waschen und Duschen müssen die Flüchtlinge die Waschräume der Gemeinschaftsgrundschule benutzen - Konflikte programmiert.
"Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass ich oft das Gefühl habe, dass die oben nicht wissen, mit was für Problemen wir hier an der Basis zu kämpfen haben", erzählt Ingeborg Schmidt, nachdem sie Gauck die Unterkunft gezeigt hat. Eines der Probleme: Die Auseinandersetzung mit dem Beitragsservice der öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalten, der früheren GEZ, die einigen der Bewohner Gebührenbescheide schickte. Die Vorsitzende des Roten Kreuzes in Bergisch Gladbach beschäftigt hier 25 Mitarbeiter, die den Alltag managen. Alleine in Bergisch Gladbach, berichtet Schmidt, habe das DRK für die Flüchtlingsarbeit 158 Mitarbeiter neu einstellen müssen.
Konflikte, Ängste und Befürchtungen müssten die Bürger aussprechen, sagt der Bundespräsident später. "Behalten Sie ihre Sorgen nicht für sich", fordert er 450 Flüchtlingshelfer auf, die sich im Kulturzentrum Bergischer Löwe versammelt haben. "Sprechen Sie Ihren Bürgermeister oder Abgeordneten an", fordert Gauck, "die Bürger dürfen das Maul aufmachen!" Der Bundespräsident weiß: Von Tabus und Redeverboten profitieren nur "die Verführer und Nutznießer vom rechten Rand".
Wie die Sorgen aussehen, erfährt der Gast aus Berlin in einem ausführlichen Gespräch mit Bürgern im Rathaus. Einer derjenigen, die dem Staatsoberhaupt seine Sicht der Dinge schildern können, ist Ulrich Wepler, Anwohner eines ehemaligen Hotels, in dem die Stadt jetzt 50 Flüchtlinge untergebracht hat. "Gauck wollte von Menschen an der Basis hören, welche Sorgen sie haben", berichtet Wepler. Die neuen Nachbarn seien oft sehr laut, "es geht oft bis in die Nacht hinein". Und sie blieben fremd im Viertel, wegen der Sprachbarriere und weil die Bewohner immer wieder wechselten. "Und die Sorge ist, dass noch mehr kommen. Wenn wir die Zahl einfrieren könnten, könnten wir die Menschen integrieren."
Dies seien, sagt Wepler selbst, Klagen auf "vergleichsweise hohem Niveau", andere Städte hätten wohl größere Nöte als Bergisch Gladbach.
Doch selbst hier hört der Präsident eine Botschaft in Variationen immer wieder: "Die Grenzen sind erreicht." Das sagt etwa Beate Schlich, Leiterin der städtischen Jugend- und Sozialbehörde. "Alle geben jeden Tag aufs Neue ihr Bestes", meint Schlich. "Aber die Entwicklung verläuft so schnell, dass wir kaum hinterherkommen."
Diese Einschätzung belegen neue Zahlen, die zur gleichen Zeit 50 Kilometer rheinabwärts NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) öffentlich macht. Allein vom 28. Oktober bis zum 1. November seien fast 16 100 Asylbewerber nach Nordrhein-Westfalen gekommen, berichtet Jäger dem Innenausschuss des Landtags. In den ersten zehn Monaten des Jahres habe sich die Zahl der Ankommenden auf fast 235 000 summiert.
Der Bundespräsident will den Helfern, für die diese abstrakten Zahlen Menschen aus Fleisch und Blut sind, Mut machen und ihnen Anerkennung zollen: "Wir haben es nicht nötig, vor unbequemen Problemen wegzulaufen", sagt Gauck. "Wir sind die, die sich verpflichtet haben zu stehen und nicht zu fliehen."
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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