MÜNCHEN. Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sollte Recht behalten. Gefragt, ob Angela Merkel in ihrer Parteitagsrede das Wort Obergrenze positiv in den Mund nehmen werde, antwortete der CSU-Politiker: "Wir hoffen es alle, aber ich fürchte, dass das Wort nicht vorkommen wird." So kam es - fast. Merkel nahm es in den Mund, aber erteilte der CSU-Forderung nach einer nationalen Obergrenze zur Aufnahme von Flüchtlingen eine Absage.
Aber der Reihe nach: Als die Bundeskanzlerin und Vorsitzende der Schwesterpartei gestern Abend im verregneten, grauen, stürmischen München die nüchterne Parteitagshalle auf dem unwirtlichen Messegelände betritt, ist der Boden - anders als in den Vortagen - bereitet für eine freundliche Aufnahme. Der Parteivorsitzende hat unüberhörbar in die Partei gerufen: Benehmt Euch. Und deshalb seinen Intimfeind und Möchtegern-Nachfolger Markus Söder öffentlich in die Schranken gewiesen, als der nach den Anschlägen von Paris eine öffentliche Kurskorrektur Merkels fordert. Der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verspricht, die CSU werde "ein guter Gastgeber" sein und so kommt es dann auch. Mit Abstrichen.
Denn zunächst verabschiedet, keine zwei Stunden vor Merkels Auftritt, der Parteitag mit nur einer Gegenstimme einen Leitantrag, der die nationale Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme, den Stopp jeglichen Familiennachzuges und die Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen fordert. Auch die Debatte davor ist deutlich, aber nicht Merkel-feindlich.
Hans Michelbach, Chef der Mittelstandsunion, regt sich darüber auf, dass die Einhaltung des Mindestlohns in den Betrieben minutiös kontrolliert werde, bei den Flüchtlingen "aber kein Gesetz mehr gilt". Er prophezeit: "Wenn es der CSU nicht gelingt, Recht und Ordnung durchzusetzen, dann schafft es keiner."
Söder spielt wie gewohnt auf der Klaviatur des Populismus, bringt Flüchtlingszustrom und Steuererhöhungen in Zusammenhang oder mögliche Kürzungen bei Sozialleistungen. Das gipfelt in den Sätzen: "Ich will nicht, dass wir unser Land verändern. Wer zu uns kommt, muss sich ändern." Und: "Wenn es die CSU nicht gäbe, dann wäre Deutschland immer noch in der Willkommenskultur. Wir brauchen aber eine Vernunftkultur." Und die hat die CSU. Glaubt sie. Aber eben auch ein bisschen Benehmen.
Als die Kanzlerin kommt: keine Buhrufe, nur vereinzelt Pfiffe. Sie steuert ohne Umwege das Podium an, sichtlich auch um Beruhigung bemüht. Es gibt Streicheleinheiten für Helfer, Bürgermeister, Landräte und auch für Seehofer: "Sie leisten Überragendes." Dann stellt sie den Flüchtlingsteil ihrer Rede fast ausschließlich unter Sicherheits- und Ordnungsaspekte. Kernsatz: "Wir werden die Zahl der Flüchtlinge reduzieren." Die Delegierten klatschen. Nicht überschwänglich, aber sie klatschen.
Die Bundeskanzlerin spricht von der Bekämpfung der Fluchtursachen, von der notwendigen Verbesserung der Situation in den Lagern der Nachbarländer Syriens und von mehr Abschiebung: "Übrigens: Auch Rückführung geht mit einem freundlichen Gesicht." Das aber ist auch der einzige Anflug von Willkommenskultur in ihrer Rede.
Schließlich das Wort, auf das Hans-Peter Friedrich gewartet hat: "Wir müssen das Problem europäisch lösen. Die EU darf keinen dauerhaften Schaden nehmen" und deshalb gehe das nicht "mit einer nationalen Obergrenze". Ergänzt um einen kleinen, einen wirklich nur kleinen Seitenhieb: "Abschottung und Nichtstun sind keine Lösung im 21. Jahrhundert." Das mit dem Nichtstun sehen die Delegierten auch so...
Höflicher Beifall der CSU-Basis, als Merkel endet. Manche im Saal stehen zum Applaus sogar auf. Dann kommt Seehofer auf die Bühne. "Liebe Angela", säuselt er, "Du hast Großes geleistet." Womit er die zehn Jahre Kanzlerschaft meint, die es morgen sind. Jetzt gibt es sogar "Bravo"-Rufe im Saal. Er bedankt sich artig bei Merkel, dass es just zum Parteitagsauftakt eine Einigung zwischen Bund und Bayern über 1000 zusätzliche Bundespolizisten an den Grenzen des Freistaates gegeben hat: "Danke für diese Gemeinsamkeit. Danke für die Rücksicht auf Bayern."
Aber dann kann er es doch nicht lassen: "Aber wir sind der festen Überzeugung, dass wir Zustimmung in der Bevölkerung nur erreichen, wenn wir zu einer Obergrenze kommen." Merkels Gesicht ist schon versteinert, als Seehofer hinzufügt: "Wir sehen uns zu diesem Thema wieder." Merkel will erst mal das Gegenteil.
Sie will nur noch raus aus der Halle. Muss kurz zurückkehren, weil der obligatorische Blumenstrauß noch nachgereicht wird. Dann geht sie grußlos. Das optimistische "Wir werden uns noch irgendwie verständigen", das ihr Seehofer noch sagt, verfehlt an diesem Abend seine Wirkung.
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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