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Freitag, 11. Dezember 2015

"Europa ist keine Einbahnstraße"

Wird der CDU-Parteitag zur Vertrauensabstimmung über Angela Merkel? 
Nein. 

Kein Vertrauen? 
Der Bundesparteitag ist ein normaler Parteitag zur Vorbereitung der wichtigen Landtagswahlen 2016 und mit Zukunftsideen der drei Programmkommissionen, von denen ich diejenige zum Zusammenhalt der Gesellschaft geleitet habe. Und es wird einen Antrag des Bundesvorstands zur Flüchtlingspolitik geben, der den Kurs der Bundesregierung und damit den Kurs von Angela Merkel unterstützt.
 
Was steht denn drin? 
Schutzbedürftige haben den Schutz in Deutschland verdient. Aber dennoch wird Deutschland nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen können. Deshalb arbeitet die Bundeskanzlerin seit Wochen daran, ein europäisches Konzept zu schmieden, in dem auch andere Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten. Wir bauen Hotspots an der Balkan-Route. Wir helfen Griechenland. Der Schutz der EU-Außengrenzen muss gesichert werden. Und in den Herkunftsländern muss die Lage so verbessert werden, dass die Flüchtlinge dort bleiben können. 

Was schlagen Sie konkret vor? 
Man darf die Hilfen nicht allein auf die Türkei konzentrieren. Wir müssen zugleich die Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien im Blick haben und beide Länder genauso behandeln und unterstützen. Gerade Jordanien, das eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat und als Nachbar von Saudi-Arabien, Irak und Syrien auch geografisch als Hort der Stabilität in einer Kriegs- und Krisenregion besonders unter Druck steht, hat die Unterstützung der gesamten westlichen Welt verdient. Also alles in allem: Flüchtlings-zahlen reduzieren... Ja, durch ein großes nationales, europäisches und internationales Maßnahmenpaket - das ist der Dimension der Herausforderung angemessen, und das bekommt sicher die Unterstützung des Parteitages. 

Zwei Nachfragen: Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland? 
Das kann man nicht exakt sagen. Sicher ist aber, dass wir die aktuelle Größenordnung nicht jedes Jahr stemmen können. Die Zahl muss deutlich heruntergehen. 

Zweite Nachfrage: Ist die europäische Variante der Flüchtlingspolitik nicht Augenwischerei? Es gibt keine EU-weite Solidarität. 
Warten wir doch erst einmal die Verhandlungen ab. Wir haben erst seit Sommer so stark steigende Flüchtlingszahlen. Davor hat niemand über europäische Lösungen geredet. Die Bundesregierung hat, insbesondere unter CSU-Innenminister Friedrich, über Jahre erklärt, die Europäer sollten sich aus der Flüchtlingsthematik raushalten. Die Nationalstaaten könnten das selber besser regeln. "Nicht, dass Brüssel auch noch auf die Idee komme, sich um Flüchtlinge zu kümmern", so die Tonlage. Damals aber waren die Flüchtlingsprobleme in Lampedusa und nicht bei uns. Jetzt haben wir Probleme, jetzt gibt's den 180-Grad-Schwenk, jetzt sagen alle: Europa muss solidarisch diese Aufgabe stemmen. 

Ist das falsch? 
Nein, die Aussage, dass wir mehr Europa und weniger Kleinstaaterei brauchen, ist richtig. Aber die war auch schon vor fünf Jahren richtig. Dass man jetzt ein paar Wochen oder Monate braucht, um die anderen Europäer davon zu überzeugen, das versteht sich doch von selbst. 

Glauben sie, dass Polen, Slowaken oder Ungarn solidarisch werden? 
Wenn sich einzelne EU-Staaten verweigern, müssen wir zu der alten Idee von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers zurückkommen, der Idee eines Kerneuropa und den zwei Geschwindigkeiten. Dann müssen eben Deutschland, Frankreich, Italien, die Benelux-Länder und weitere Staaten wie vielleicht Österreich und Schweden vorangehen und entscheiden: Wir machen Flüchtlingspolitik gemeinsam. Das gilt nach Paris auch einmal mehr für die Sicherheitspolitik, etwa wenn es darum geht, die Daten von terroristischen Gefährdern besser auszutauschen, als das heute der Fall ist. Das wäre ein neuer europäischer Integrationsschritt. 

Und die, die nicht mitmachen? 
Wenn sich andere Länder dauerhaft jeglicher Solidarität entziehen, hat das Auswirkungen auf Felder, wo Deutschland solidarisch ist. 

Wollen Sie damit sagen: Wer sich weigert, wird finanziell bestraft? 
Es gibt Regionalfonds für Mittel- und Osteuropa, Gelder zum Aufbau der jungen Demokratien, zur Hilfe in der Landwirtschaft und zur Stabilisierung des Euro und vieles, vieles mehr. Deutschland ist stets solidarisch und ein Stabilitätsanker in Europa. Europa ist aber keine Einbahnstraße. Wenn die neue polnische Rechtsregierung als Erstes die Europafahnen abhängt, signalisiert das doch eher, dass man auf die Europäische Union und deren Hilfe nicht mehr so viel Wert legt. Ich bin nicht sicher, ob dieses nationale Getöse wirklich durchdacht ist. 

Die Länderinnenminister kritisieren das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Geht Ihnen die Registrierung auch nicht schnell genug? 
Die könnte in der Tat schneller gehen. Aber die Art, wie die Mainzer Regierungschefin Dreyer und NRW-Innenminister Jäger über die Mitarbeiter des Bamf geschimpft haben, ist nicht akzeptabel. Die arbeiten doch bis zum Anschlag. Übrigens: Die Kooperation mit NRW läuft besonders schlecht. 

Stimmt es wirklich, dass im Bamf freitags um fünf Schluss ist? 
Die Bürger erreichen in Ämtern am Freitagnachmittag selten jemanden an seinem Schreibtisch, auch nicht in dringenden Angelegenheiten, auch nicht in Ministerien. Aber die Bamf-Mitarbeiter vor Ort in den Aufnahmestellen arbeiten natürlich auch am Wochenende. Dass die SPD von Angestellten, die Akten bearbeiten, Sonntagsarbeit verlangt, ist bemerkenswert. Parteipolitischen Klamauk, das Ablenken von eigenem Unvermögen auf Kosten von Herrn Weise und seinen Mitarbeitern, empfinde ich als schäbig. 

Sie fordern die schnellere Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern. Wie realistisch ist das? Die Landesregierung sagt doch, in NRW werde "konsequent" abgeschoben. 
Dass in absoluten Zahlen aus Nordrhein-Westfalen am meisten abgeschoben wird, ist logisch, weil hier auch die meisten Menschen leben. Prozentual ist die Rückführungspraxis hier aber schlechter als in vielen anderen Bundesländern. Das gilt einmal mehr, wenn man sich die Entwicklung in diesem Jahr anschaut. Es fehlt an dem Willen, konsequent zu handeln. Das Entscheidende ist: Nordrhein-Westfalen weigert sich, Erstaufnahmestellen für Menschen aus sicheren Herkunftsländern einzurichten. Bayern macht das in Manching, das grün-rot-regierte Baden-Württemberg in Heidelberg. 

Wie läuft das da? 
Dort sind alle notwendigen Institutionen in einer Einrichtung vertreten - so, wie wir es seit Sommer von Frau Kraft verlangen. Flüchtlinge erhalten in ein oder zwei Wochen einen Bescheid und werden dann zurückgeführt. Bei uns werden sie erst in die Kommunen überwiesen, dann müssen Landräte oder Bürgermeister die Abschiebung organisieren. Das ist für die Kommunalen extrem schwierig. Mal fehlt der Dolmetscher, mal der Arzt, es entstehen schwierige Lagen, wenn einer schon mehrere Jahre in einer Stadt ist und dann abgeschoben werden soll. Ich finde, ein schnelles Signal, ob der Flüchtling eine Bleibeperspektive hat oder nicht, ist menschlicher und erleichtert die Rückführung. Doch dazu ist Frau Kraft nicht bereit und diffamiert alle differenzierten Vorschläge als Einteilung in "gute" und "böse" Flüchtlinge. Sancta simplicitas. 

Zurück zum Parteitag: Wird Horst Seehofer am Dienstag in Karlsruhe ausgepfiffen werden? 
Nein. Christdemokraten, insbesondere aus dem Rheinland und Westfalen, empfangen Gäste immer mit großer Freundlichkeit und Gastfreundschaft. CSU und Kanzlerin streiten sich um die Begriffe Kontingente und Obergrenzen. 

Ist das ein Streit, den die Bürger noch verstehen können? 
Nein. Es muss Schluss sein mit dieser Wortakrobatik. Keiner nennt Zahlen für seine Obergrenzen, keiner will den Asylartikel des Grundgesetzes einschränken oder ändern, keiner will einen Grenzzaun, aber zu viele reden darüber und reden mit immer neuen Worterfindungen. Die hohen Flüchtlingszahlen müssen drastisch reduziert werden. Darum geht es und um nichts anderes. 

Und deshalb gibt es ein europäisches Kontingent? 
Ja. Mit einem großen Kontingent kann Europa Menschen Hoffnung, Perspektiven geben und verhindern, dass sie den riskanten Weg über das Mittelmeer nehmen und dem Schlepper all ihr Erspartes geben. Geordnete Verfahren und Mithilfe der Türkei, den kriminellen Schleppern das Handwerk legen - das ist das Gebot der Stunde. 

Stünden wir besser vorbereitet da, wenn es ein Einwanderungsgesetz gäbe? 
Wir haben schon ein Gesetz zur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung und auch eine Arbeitsplatzverordnung, die Einwanderung bei 70 Mängelberufen ermöglicht. Aber das System ist sehr unübersichtlich. Deshalb werbe ich auch auf dem Bundesparteitag dafür, diese Vorschriften in einem Gesetz zu präzisieren und widerspruchsfrei zusammenzuführen. Damit wird signalisiert: Asyl und Einwanderung sind zweierlei. Asyl ist für Schutzbedürftige, also für jene, die uns brauchen. Das Einwanderungsgesetz ist für die, die wir als Fachkräfte brauchen. 

ZUR PERSON 
Armin Laschet ist einer von fünf Stellvertretern der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel. Der 54-jährige Jurist aus Aachen führt die NRW-Union seit 2012 und die CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag seit 2013. Im Mai 2017 will er Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ablösen. Von 1994 bis 1998 gehörte Laschet dem Bundestag an und von 1999 bis 2005 dem Europäischen Parlament. Seit 2010 sitzt er im NRW-Landtag. Im Kabinett Rüttgers war er fünf Jahre Integrationsminister. Im Vorfeld des diesjährigen CDU-Parteitages leitete er eine Kommission zur "Zukunft der Bürgergesellschaft". Sie votierte für ein Einwanderungsgesetz. (ye)

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