WIESBADEN/BERLIN. Zehntausende minderjährige Flüchtlinge sind 2015 ohne Eltern nach Deutschland eingereist. Was ist mit ihnen geschehen? Das Statistische Bundesamt hat nun Zahlen veröffentlicht, doch viele Fragen bleiben offen.
Wie viele Minderjährige sind 2015 alleine nach Deutschland gekommen?
Laut statistischem Bundesamt waren es 42 300, fast vier Mal so viele wie im Vorjahr. Allerdings ist nicht gesichert, dass die Zahl der Inobhutnahmen identisch mit der Zahl der Einreisen ist. Es können auch Jugendliche eingereist sein, die sich den Behörden entzogen haben - dann wären es mehr. Oder sie wurden bei der Verteilung mehrfach gezählt - dann wären es weniger.
Was geschieht mit alleinreisenden minderjährigen Flüchtlingen?
Zuständig sind die Jugendämter, sie verfügen "vorläufige Schutzmaßnahmen". Die Flüchtlinge werden in sogenannten Clearinghäusern untergebracht. Dort werden Fragen geklärt wie Alter, Gesundheitszustand und ob es Verwandte gibt. Danach werden sie auf die Kommunen verteilt. Familiengerichte bestimmen einen Vormund. Wo genau die Kinder und Jugendlichen unterkommen und wie viel das kostet, ist je nach Kommune unterschiedlich. Einige der Flüchtlinge wohnen in Heimen oder Hotels, in betreuten Wohngruppen, bei Pflegefamilien oder Verwandten.
Stellen alle einen Asylantrag?
Bis heute hat von den unbegleiteten Minderjährigen des Jahres 2015 nur etwas mehr als die Hälfte einen Asylantrag gestellt. Was aber macht die andere Hälfte? Eine Alternative ist zum Beispiel eine Duldung, Minderjährige werden nicht abgeschoben. Den Asylantrag kann nur der Vormund stellen - zum Teil haben die Jugendlichen aber noch keinen gesetzlichen Vertreter oder dieser ist noch nicht tätig geworden, weil er überlastet ist oder andere Fälle dringlicher sind. Manche Flüchtlinge verschwinden auch; vielleicht sind sie weitergereist, untergetaucht, verschleppt. Anfang des Jahres wurden laut Bundeskriminalamt 4749 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland vermisst.
Was sind das für Kinder und Jugendliche?
Gesichert ist nur das Geschlecht. Laut Statistischem Bundesamt waren 91 Prozent der 2015 ohne Eltern eingereisten Minderjährigen männlich. Das Alter hingegen kann oft nur geschätzt werden.
Werden sie angemessen versorgt?
"Immer noch werden viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nur behelfsmäßig untergebracht und betreut. Von den Standards der Kinder- und Jugendhilfe sind wir vielfach noch weit entfernt", sagt Niels Espenhorst vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Wie sieht ihr weiteres Leben aus?
"Praktiker berichten, dass es bei einer nicht unerheblichen Anzahl von geflüchteten Jugendlichen nach einem ermutigenden Start in Schule und Ausbildung scheinbar ohne Anlass zu Resignation, Schul- oder Ausbildungsabbrüchen und heftigen persönlichen Krisen komme", heißt es bei der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe.
Was kann schlimmstenfalls geschehen?
Für Entsetzen sorgte im Juli ein 17-jähriger Flüchtling, der in einem Regionalzug bei Würzburg vier Menschen mit einer Axt und einem Messer attackierte. Er war vor etwa zwei Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Kurz vor der Tat zog er aus einem Heim zu einer Pflegefamilie. Für Niels Espenhorst ist dieser Fall ein Argument dafür, dass die Betreuung besser werden muss: "Die Gefahr einer Radikalisierung ist nur eines von vielen Problemen, die man im Blick behalten muss." (dpa)
IN DER REGION
Auch die Jugendbehörden in der Region haben mit alleinreisenden minderjährigen Jugendlichen zu tun. In Köln leben (Stand Juli) 1029 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
In der Bundesstadt Bonn befinden sich nach Angaben von Stadtsprecherin Monika Hörig zurzeit 220 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in städtischer Obhut. Einige von ihnen sind neuerdings bei eigens geschulten Pflegefamilien untergekommen.
Im Rhein-Sieg-Kreis war die Zahl der neu aufgenommenen unbegleiteten Flüchtlinge zuletzt überschaubar. In die acht Gemeinden, für die das Kreisjugendamt zuständig ist, kamen seit Juni nur noch fünf Jugendliche. 82 sind es derzeit insgesamt.
In Troisdorf , der größten Stadt im Kreis, leben zurzeit 46 Unbegleitete.
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