BERLIN. Die schwarze Null muss stehen im Haushalt, da ist der Bundesfinanzminister bekanntlich unerbittlich. Die Deutschen sollen nicht auf Pump leben: ausgegeben wird, was da ist. Geht es nicht ums Geld, sondern um den Verbrauch von Ressourcen wie Wasser, Wald und Fläche, sieht es mit der deutschen Disziplin längst nicht so gut aus. Eigentlich war schon Ende April alles aufgebraucht. An diesem Montag ist es für die gesamte Weltbevölkerung so weit: Sie hat alles gerodet, gegessen, bebaut und verschmutzt, was ihr für 2016 zusteht. Der Rest kommt obendrauf. Von Nachhaltigkeit keine Spur.
Was bedeutet das?
Überfischte Meere, Artensterben, Erosion fruchtbarer Böden, Gift in Wasser, Boden und Luft, Klimawandel. Und damit auch: Hunger, Hochwasser, Dürren und andere Katastrophen. Das Netzwerk Global Footprint hat errechnet, dass die Bevölkerung der Erde bei ihrem derzeitigen Lebensstandard 1,6 Planeten bräuchte. Ließen alle es sich so gut gehen wie die Deutschen, wären es sogar 3,1 Erden.
Und es wird immer schlimmer. Denn obwohl das Prinzip Nachhaltigkeit heute eigentlich überall gepriesen wird, rutscht der "Erdüberlastungstag" immer weiter nach vorn. Im Jahr 2000 war es noch der 1. Oktober, vergangenes Jahr der 13. August, jetzt ist es der 8. August. Läuft es weiter wie bisher, sind die Ressourcen im Jahr 2030 schon am 28. Juni aufgebraucht.
Wie kann das sein, wo das Problem doch seit Jahrzehnten bekannt ist? "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt", damit machten die Grünen schon 1983 Wahlkampf. 1992 gab es dann in Rio de Janeiro mit der Agenda 21 ein großes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit von mehr als 170 Staaten. Zehn Jahre später legte die Bundesregierung eine "nationale Nachhaltigkeitsstrategie" vor, die gerade überarbeitet wird, eine UN-Agenda 2030 gibt es seit vergangenem Herbst.
An Bekenntnissen der Politik fehlt es in Deutschland nicht. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagt zum "Erdüberlastungstag": "Ein ,Weiter so' ist keine Option." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte kürzlich "enkeltaugliche" Entscheidungen der Politik an. Ihr Regierungsentwurf zur Nachhaltigkeit kommt aber bei vielen nicht gut an. Er gehe "allzu oft den Weg des geringsten Widerstandes" und sei "nicht konsequent", bemängeln etwa die Experten des Nachhaltigkeitsrats, die die Bundesregierung beraten. Wie der Klimaschutz ist auch das weite Feld der Nachhaltigkeit eines, auf dem Lobbys, Verbände und Unternehmen mit harten Bandagen für ihre Interessen und ihr Image kämpfen. Besonders anschaulich ist das Hickhack beim Klimaschutzplan 2050 aus dem Hause Hendricks, der vom Wirtschaftsressort bereits deutlich aufgeweicht und nun auch vom Bundeskanzleramt in zentralen Punkten in Frage gestellt wurde. Das Ergebnis, das noch 2016 vom Kabinett verabschiedet werden soll, dürfte letztlich weder Hendricks noch Klimaschützer zufriedenstellen.
Große Linien über Jahrzehnte - gern, aber bitte keine konkreten Vorgaben. Wie lange werden noch Diesel- und Benzinmotoren zugelassen? Wie viel Dünger darf auf die Felder? Wie lange produziert Deutschland noch Strom aus Kohle? Wie viel Fleisch darf jeder essen?
So wird der abstrakte Begriff Nachhaltigkeit plötzlich persönlich. Aber wenn nur die Deutschen sich in Bescheidenheit üben, reicht das natürlich nicht: "Der Klimawandel kennt keine Nationalstaatsgrenzen", mahnt der WWF. "Vor den Folgen von Wassermangel oder Meeresverschmutzung kann sich kein Land abschotten."
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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