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Sonntag, 4. September 2016

Integration: 40 Jahre in Berlin und kein Wort Deutsch gelernt

Am 18. September findet im Land Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. In den Umfragen liegt die SPD unter der Führung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller bei 21%, der Koalitionspartner CDU bei 20 %, die Grünen erreichen 17 % und die Linke 16 %. Die AfD steht bei 15 %, und die FDP pendelt um die 5 %. Ihr Einzug ins Abgeordnetenhaus ist also fraglich. Sicher scheint nur, dass die SPD erneut den Regierenden Bürgermeister stellen wird, wahrscheinlich mit den Grünen und der Linken als Koalitionspartner, denn für eine Zweier-Koalition wird es nicht mehr reichen.
Die AfD zeigt unter ihrem Spitzenkandidaten Georg Padzierski, einem pensionierten Berufsoffizier, ein unauffällig freundliches Gesicht. Es kann gut sein, dass sie beim Wahlergebnis Grüne und Linke überrundet. In allen Wahlen der letzten Zeit schnitt sie besser ab als bei den Umfragen. Ihre Stimmen gehen vor allem zu Lasten der SPD und der CDU. So ist es auch keineswegs sicher, dass die SPD die größte Partei bleibt. Bereits das Umfrageergebnis für die AfD muss man im traditionell linken Berlin als Sensation einstufen. Eine Chance zum Mitregieren wird sie natürlich nicht haben, da niemand mit ihr koalieren will. Für das Spitzenpersonal der übrigen Parteien bleibt sie die Verkörperung des Dumpfen und Reaktionären schlechthin.
Natürlich haben auch in Berlin die Themen Einwanderung, Flüchtlinge und Islam ihren demoskopischen Auftrieb bewirkt. Vor diesem Hintergrund war für mich ein Interview sehr aufschlußreich, das Michael Müller und die stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Sawsan Chebli, gemeinsam der FAZ gaben. Das Thema waren die Muslime in Berlin, und es war interessant, was zur Sprache kam und was nicht.  

Kann weder lesen noch schreiben, ist aber voll integriert 
Die Politikwissenschaftlerin Chebli lehnte es ab, die Integrationsdebatte mit der Diskussion über Muslime, Islam oder Religion überhaupt zu vermengen. Sie bestritt damit implizit, dass der Islam als solcher oder in bestimmten Ausprägungen ein Integrationshindernis sein könne, und widersprach sich gleich selbst, als sie sagte: „Mein Vater ist ein frommer Muslim, spricht kaum Deutsch, kann weder lesen noch schreiben, ist aber integrierter als viele Funktionäre in der AfD, die unsere Verfassung in Frage stellen.“ Es ist schon eine Leistung, wie ihr Vater 40 Jahre in Berlin zu leben, ohne Deutsch zu lernen; dies ist nur zu erklären aus einem vollständigen Desinteresse an der umgebenden deutschen und europäischen Kultur und an sozialen Kontakten in das fremde Umfeld. Unklar bleibt, nach welchen Maßstäben Chebli die Integration ihres Vaters in Deutschland für höher hält als die von vielen AfD-Funktionären. Im weiteren Verlauf des Interviews bestand Chebli darauf, dass muslimische Frauen in Deutschland ihr Kopftuch durchweg freiwillig tragen. Sie verwies dazu auf ihre Mutter und ihre fünf Schwestern. Sie wandte sich gegen berufliche Einschränkungen aufgrund des Kopftuchs. Einen Gegensatz zwischen dem Islam, der Identifikation mit Deutschland und dem Grundgesetz verneinte sie. Die Scharia regele zum größten Teil das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und sei für sie als Demokratin kein Problem im Alltag. Der islamistische Extemismus treffe vor alle die Muslime selber. Islamkritik aus der AfD setzte sie mit rassistischer Hetze gleich: „Da müssen wir Demokraten klar Stellung beziehen und Rassismus mit aller Vehemenz zurückweisen.“  

Nur Gott gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet 
Die zeitgemäße Auslegung des Islam sei „ein innerislamischer Prozess, der auch nicht von außen bestimmt werden sollte“, vom Euro-Islam halte sie nichts. Ein Problem erkannte sie immerhin an: „Als Muslim ist man nur Gott gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet. Das ist ein Segen, macht es aber zugegebenermaßen schwieriger, die Zusammenarbeit mit dem Staat zu organisieren.“ Der Regierende Bürgermeister Michael Müller war in dem Interview im wesentlichen Cheblis freundliches Echo. Den Begriff „Leitkultur“ empfand er als zu eng gefasst, auch werde er gern politisch zur Ausgrenzung mißbraucht. Das Grundgesetz müsse natürlich für alle verbindlich sein. Verträge mit muslimischen Verbänden und Vereinen seien anzustreben. Die Ausbildung für Imame am Islam-Institut der Humboldt-Universität müsse unterschiedliche Glaubensrichtungen abbilden, und es wäre, so Müller, jedenfalls ein großer Fortschritt, wenn in Berlin aufgewachsene und ausgebildete Imame auch in den Berliner Moscheen predigen könnten. Immerhin erkannte er an, dass Integration offenbar nicht automatisch erfolgt. „Für das Zusammenleben muss es einen klar benannten und für alle nachvollziehbaren Rahmen geben. Die für alle verbindlichen Regelungen müssen angesprochen werden.“  

Was nicht angesprochen wurde 
Damit wurde Müller deutlicher, als das noch vor einigen Jahren in Berlin üblich war. Aber auffallend blieb, welche Themen von den beiden Gesprächspartnern, die sich so freundlich die Bälle zuwarfen, vermieden wurden: - Der sich ausbreitende Fundamentalismus und die zunehmende Radikalisierung unter Heranwachsenden und jungen Erwachsenen unter den Muslimen in Berlin und in Deutschland. - Die Folgen der frühen Familiengründung und hohen Kinderzahl bei den Muslimen. In Berlin stellen die Muslime einen Bevölkerungsanteil von 8-10 %, aber ihr Anteil an den Schulkindern liegt bereits bei ca. 25 %. Amtliche Statistiken dazu gibt es leider nicht. - Der überdurchschnittliche Anteil der jungen Muslime an der Gewaltkriminalität. - Der weit verbreitete Antisemitismus unter den Berliner Muslimen. - Die unterdurchschnittlichen Bildungsleistungen, der niedrige Anteil qualifizierter Berufe und die niedrigen Beschäftigungsquoten der Muslime im Erwerbsalter. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller argumentiert allerdings im Berliner Wahlkampf nicht anders, als es jeder beliebige Vertreter von SPD, CDU, Grünen oder Linken täte. Vielleicht beschleicht den einen oder anderen unter ihnen manchmal in den frühen Morgenstunden das vage Unbehagen, dass der demoskopische Höhenflug der AfD auch mit dieser Neigung zur wohlwollenden Unschärfe zu tun haben könnte.

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