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Dienstag, 24. Januar 2017

„Wer soll das Land wieder aufbauen?“

Lohmar-Durbusch. Im Dezember sorgte die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan für heftige Diskussionen. Ein differenziertes Bild des Landes und eine entsprechende Haltung hat Elke Jonigkeit-Kaminski aus Lohmar-Durbusch: Sie besucht das Land seit 1985, drehte dort neun Dokumentarfilme und hat vor 13 Jahren das Hilfswerk Nazo gegründet.


Wie haben Sie die Abschiebungen erlebt? 
Wir arbeiten in Afghanistan mit sehr einfachen Leuten; wenn unsere armen Nazo-Frauen dort leben können, können das andere auch. Ohne Ausnahme? Wenn jemand nachweisen kann, dass er politisch verfolgt ist oder so schwer krank, dass ihm nur hier geholfen werden kann, sollte man Ausnahmen machen. Neulich wurde in den Medien gemeldet, dass in Kandahar im Süden vier Afghaninnen erschossen wurden – mit der Begründung, dass Frauen nicht außer Haus arbeiten sollen. Was wäre das für eine Riesenmenge von Menschen, die hier asylberechtigt wären!  

Hätten Sie eine Lösung parat? 
Ich bin Gott sei Dank keine Politikerin, ich muss das nicht lösen. 

Können Sie die Lage im Land beschreiben? 
Derzeit ist die Sicherheitslage schwierig, es gibt kriegerische Überfälle, Attentate und Kriminalität. Überdies hat Pakistan eine Million Menschen zurückgeschickt, die zum Teil seit 1985/86 dort lebten. Nicht alle haben Verwandte, zu denen sie zurückkehren können, es gibt sehr viele Binnenflüchtlinge im Land.  

Ich habe vor wenigen Monaten einen Jugendlichen getroffen, der mit Altersgenossen flüchtete, weil sie befürchteten, von den Taliban gezwungen zu werden, für sie zu kämpfen. Bleibt denn da den Menschen etwas anderes übrig als die Flucht? 
Es gibt auch andere Reaktionen. Wir arbeiten mit Nazo auch in der Provinz Kapiza; oben auf den Bergen sitzen die Taliban und greifen immer wieder die Dörfer an. Aber diese Männer sind nicht geflüchtet, sondern haben sich gewehrt, verteidigen ihre Dörfer bis heute!  

Sie haben sich schon früher besorgt gezeigt über den „Brain Drain“, den Abfluss von Wissen und Bildung aus Afghanistan. 
Man braucht Geld, um zu flüchten. Man muss zu einer Familie gehören, die genug Geld verdient, um etwas sparen oder Besitz verkaufen zu können. Häufig sind das die besser Gebildeten. Wer bleibt dann zurück? Und wer soll das Land wieder aufbauen? Man müsste die jungen Leute, die hier ausgebildet werden, verpflichten, etwas zurückzugeben. Ich fände es keine schlechte Idee, dass sie nach ihrer Ausbildung einige Jahre in ihrem Heimatland arbeiten und dort ihr hier erlerntes Wissen einbringen.  

Welches Bild haben die Menschen in Afghanistan vom Westen? 
Ich habe von Nachrichten gehört, wonach über Paris Flugzeuge Duftstoffe versprühen – das kommt den Menschen wie das Paradies vor. Sie hegen den Traum, dass hier das Geld auf der Straße liegt. Dabei spielt das Materielle erst eine so große Rolle, seit der Westen da ist, also seit 2001. Das kannte ich vorher nicht und ich reise seit 1985 nach Afghanistan. Inzwischen hat auch der letzte Schafhirt ein Smartphone – und kann im Internet sehen, wie andere Menschen leben. Das weckt Begehrlichkeiten, der Vergleich macht unzufrieden.  

Kommen tatsächlich nur solche Traumbilder an? 
Allmählich kommen auch andere Nachrichten. So verbreitet sich die Auskunft, dass man auch freiwillig wieder zurückgehen kann.  

Ist der – fehlende – Zugang zu Bildung noch ein Fluchtgrund? 
Das Bildungssystem funktioniert, schlechter steht es um die medizinische Versorgung – auch wenn sie sich im Vergleich zur Talibanzeit sehr verbessert hat.  

Wie beurteilen Sie das westliche Engagement in Afghanistan? 
Als die Sowjets 1979 das Land besetzten, brachten sie viel Leid – aber sie bauten auch Fabriken und schafften Arbeitsplätze. Das haben die westlichen Länder versäumt. Ein Interviewpartner aus meinem jüngsten Film hat das so formuliert: „Ein Fundament, auf das man die Zukunft bauen könnte, hat man nicht gebaut. Es gibt keine Fabriken – keine Arbeitsplätze. Wir sind nur Konsumenten.“ Jeder Cent Entwicklungshilfe müsste an die Ausbildung Einheimischer gekoppelt werden. China investiert im Land, bringt aber seine Arbeiter selbst mit. Und in anderen Fällen kamen die Arbeiter aus Pakistan oder gleich aus dem Ursprungsland der Geldgeber.  

Wann reisen Sie wieder dorthin? 
Ich will ja wieder fliegen, es hängt nach wie vor von meinen Mitarbeitern in Afghanistan ab: Als Ausländerin bringe ich meine Gastgeber in Gefahr. Angst um mich selbst habe ich nicht. Aber ich muss darauf achten, die Arbeit vor Ort nicht zu gefährden.  

Haben Sie nach wie vor Hoffnung für das Land am Hindukusch? 
Ich finde immer wieder erstaunlich, was ich an Berichten von dort bekomme. Wir haben wieder Frauen ausgebildet, und wenn ich in diese Gesichter schaue, dann sind die so fröhlich, die schauen so positiv in die Zukunft. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen diesen persönlichen Berichten und Bildern und den allgemeinen Nachrichten in unseren Medien. Noch einmal: Wenn unsere armen Nazo-Frauen dort leben können, warum nicht auch andere?

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