Das Asylrecht ermöglicht Ausländern aus guten Gründen, ohne Visum einzureisen. Dabei bietet sich eine weitere exklusive Chance: die Kreation einer neuen Identität. Name, Herkunft, Lebensgeschichte: einmal neu. Wer keine Identitätspapiere hat, glaubhaft trickst und sich in der Anhörung nicht widerspricht, kann ein neuer Mensch werden – zumindest für den deutschen Staat.
Dass diese Chance auf eine falsche Identität und die resultierende Behinderung der Abschiebung eine Erklärung dafür ist, dass zwei Drittel der Asylsuchenden ohne Pass oder andere brauchbare Identitätspapiere ankommen, ist kein Geheimnis.
Auch die „Welt am Sonntag“ berichtete schon über solche erfolgreichen Täuschungsmanöver.
Trotzdem werden längst nicht alle Möglichkeiten genutzt, um die Identität der Migranten zu klären. Obwohl auf mitgeführten Mobiltelefonen wichtige Indizien zur Herkunft gespeichert sind, nutzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Handys nur dann, wenn sie freiwillig gezeigt werden. „Es findet keine Durchsuchung der Mobiltelefone von Asylsuchenden durch die Entscheider bei der Anhörung statt. Das Vorzeigen von zum Beispiel Fotos oder Videos, um die eigene Fluchtgeschichte zu untermauern, basiert auf Freiwilligkeit der Asylsuchenden“, teilt das Amt auf Nachfrage der „Welt“ mit.
Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), will dies nicht länger akzeptieren: „Vielleicht finden sich im Telefonbuch 95 Prozent Kontakte aus Staat X, obwohl der Schutzsuchende sagt, aus Staat Y geflohen zu sein. Vielleicht wurde das Handy immer in Dorf X genutzt, obwohl der Schutzsuchende sagt, in Stadt Y verfolgt worden zu sein. Auf solche Informationen muss das BAMF leider derzeit bei der Identitätsfeststellung verzichten.“
Oft hätten „die Antragsteller keine oder wenig aussagekräftigen Papiere. Wenn Zweifel an der Identität eines Asylsuchenden bestehen, sollte das BAMF die Möglichkeit haben, sein Mobiltelefon zu überprüfen, so wie es mittlerweile im Ausländerrecht geregelt ist.“ Der Innenausschussvorsitzende fordert: „Wir haben zuletzt nach den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg über die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Mobiltelefone diskutiert, das sollte jetzt wieder auf die Tagesordnung.“
Doch warum lässt sich das BAMF immer noch die wichtige Datenquelle Handy entgehen, um die Identität festzustellen? Zwar verpflichtet das Aufenthaltsgesetz (Paragraf 48, „Ausweisrechtliche Pflichten“) einen Ausländer ohne Identitätspapiere, „Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit“ wichtig sein können, den „Behörden auf Verlangen vorzulegen“. Das Gesetz präzisiert sogar: „Kommt der Ausländer seiner Verpflichtung nicht nach und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass er im Besitz solcher Unterlagen oder Datenträger ist, können er und die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden. Der Ausländer hat die Maßnahme zu dulden.“
Aber: Ausgerechnet das BAMF – das durch das Asylgesetz verpflichtet ist, die Identität der Antragssteller festzustellen – ist laut Bundesinnenministerium bei der Einsichtnahme in das Mobiltelefon „auf Freiwilligkeit angewiesen“. Eine Sprecherin teilt mit: „Das BAMF kann im Rahmen eigener Zuständigkeit, zur Aufklärung des für das Asylverfahrens relevanten Sachverhalts, bei Weigerung des Asylantragstellers die Einsichtnahme in das Mobiltelefon nicht durchsetzen.“
„Brauchen Grenzkontrollen, die den Namen verdienen“
CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hält das Auslesen der Handys für dringend erforderlich. Er will aber nicht erst das Asylverfahren abwarten: „Wir sollten bei ungeklärter Identität und Nationalität grundsätzlich niemanden einreisen lassen. Und alleine die Stellung eines Asylantrages kann auch nicht die Passpflicht ersetzen“, sagte der ehemalige Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses der „Welt“. „Wenn wir auf die Erfüllung der Passpflicht aus humanitären Gründen verzichten und Identität und Nationalität auch nicht durch andere, aussagekräftige Dokumente glaubhaft gemacht werden können, müssen wir wenigstens die Möglichkeit haben, die Handys auszulesen, um die Angaben des Antragstellers zu überprüfen. Auch wenn den meisten der Pass fehlt, ein Smartphone haben fast alle.“
Bosbach fordert: „Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt! Wir haben im Schengenraum zwar die stationären Grenzkontrollen abgeschafft, aber weder die Staatsgrenzen selber noch die Pass- oder Visumpflicht bei der Einreise in den Schengenraum und beim Grenzübertritt. Die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen erfolgte Zug um Zug gegen sichere EU-Außengrenzen.“ Diese seien aber keineswegs so sicher, wie sie sein sollten, sagte Bosbach. „Deshalb brauchen wir zumindest auf den Hauptfluchtrouten Grenzkontrollen, die diesen Namen auch verdienen.“
Zwar ist es zu Beginn des vergangenen Jahres gelungen, die irreguläre Zuwanderung stark zu reduzieren. Doch seither kommen immer noch monatlich mit rund 15.000 weit mehr Asylsuchende nach Deutschland als in jeden anderen westlichen Staat. Das Problem der Migranten mit zweifelhafter Identität wird also nicht kleiner – es wächst nur langsamer.
Kürzlich hatte auch der bisherige BAMF-Chef und neue Beauftragte der Bundesregierung für das Flüchtlingsmanagement, Frank-Jürgen Weise, die Eignung von Mobiltelefonen zur Identitätsprüfung betont: „Das Handy kann für die Identifizierung einen entscheidenden Zugang bedeuten. Technisch gibt es da Möglichkeiten, die zum Teil schon gesetzlich anwendbar sind“, sagte Weise dem „Focus“.
Er warnte auch ausdrücklich vor einer Verurteilung aller Flüchtlinge mit falschen Dokumenten. „Gefälschte Papiere bedeuten nicht immer, dass es sich um Betrüger handelt. In einigen Ländern kann man überhaupt nur ohne oder mit gefälschten Dokumenten fliehen“, gab Weise zu bedenken. „Andererseits: Manchmal hören wir, die Papiere seien vernichtet worden. Bei der Ausländerbehörde aber, wo es ums Geld geht, waren sie vorhanden.“
Einige Mängel bei Erfassung beseitigt
Abgesehen von dem Aspekt der Mobiltelefone hat der Staat im Zuge der Flüchtlingskrise schon einige Mängel bei der Registrierung der Migranten abgestellt. Die Bundesregierung wird nicht müde zu betonen, dass mittlerweile die Identität aller Asylsuchenden erfasst wird – Foto, Fingerabdruck, gegebenenfalls Sprache.
Die beiden großen Fortschritte waren das Datenaustauschverbesserungsgesetz und der dadurch ermöglichte Ankunftsnachweis, den seit Februar 2016 alle Asylsuchenden erhalten. Auf ihm werden zusammen mit einer Identifikationsnummer, Personen-, Identitäts- und Kontaktdaten wie Name, Geburtsdatum, Fingerabdrücke und Wohnort gespeichert.
Mit dieser Erfassung und Speicherung im zentralen Kerndatensystem sind zumindest Mehrfachidentitäten wie im Fall des tunesischen Terroristen Anis Amri ausgeschlossen. Bis ins Jahr 2016 existierte schlicht kein System zur Aufdeckung solcher Täuschungsmanöver.
Bei 224 Gefährdern in Deutschland handelt es sich um Personen, die nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Darunter sind auch 62 ausreisepflichtige Asylbewerber. Bayerns Innenminister fordert nun ein schärferes Aufenthaltsgesetz.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte in der vergangenen Woche in der Bundespressekonferenz, wie einfach der Staat es Betrügern machte. Ein Asylbewerber habe „vor Einführung des Datenaustauschgesetzes nach Kiel kommen und Asyl beantragen“ können. Wenn „er nachher nach Stuttgart gegangen ist und auch Asyl beantragt hat, bekam er dort auch Asylbewerberleistungen – gegebenenfalls sogar unter demselben Namen“.
Die Flüchtlingskrise sei eine Chance gewesen, das zu ändern. „Es war nur sehr spät“, sagte de Maizière. Allerdings schließen diese Maßnahmen nur Mehrfachidentitäten aus. Nicht gesichert wurde dadurch, dass die eine in Deutschland festgestellte Identität mit der Person des Asylantragstellers identisch ist.
Zwar wendet das BAMF bei Personen, von deren Identität kein Pass, keine Geburtsurkunde, kein verwertbares Schriftstück zeugt, in der Identitätsprüfung verschiedene Maßnahmen an. Dazu zählen „gezieltes Nachfragen der Entscheider in der Anhörung zu regionalen Gegebenheiten oder Bräuchen etc. und gegebenenfalls eine Sprach- und Textanalyse“.
Außerdem können „die vom Antragsteller gemachten Angaben durch das Auswärtige Amt, Botschaften und in bestimmen Ländern auch durch eigenes Verbindungspersonal vor Ort überprüft werden“, teilte die Behörde mit.
Doch immer noch kann die „Identitätsfeststellung“ darin bestehen, dass Fingerabdrücke und Fotos einer Person mit Angaben verknüpft werden, die ausschließlich von dieser Person selbst stammen. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ohnehin die individuelle Anerkennung der jeweiligen Verfolgungsgeschichte entscheidend. Ihre plausible Schilderung ist für die Schutzgewährung wichtiger als die zweifelsfreie Überprüfung der Identität.
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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