DÜSSELDORF. Der Minister bleibt ruhig. Gerade hat SPD-Fraktionsvize Sven Wolf damit gedroht, ihn anzuzeigen. Er hat Joachim Stamp (FDP) Rechtsbruch vorgeworfen, das Auslösen einer Verfassungskrise, Missachtung der Gewaltenteilung und ganz am Ende auch noch Selbstjustiz. Doch der NRW-Flüchtlingsminister bleibt gelassen: „Sie haben ja schon den Bundesinnenminister angezeigt, dann können Sie mich ruhig auch noch anzeigen“, erwidert er.
Stamp kennt die Situation nur zu gut. Er weiß, welche Fragen eine Opposition stellt, um eine Sache aufzuklären. Und er weiß, welche Fragen eine Opposition aufwirft, um vor allem politisches Kapital aus einer Sache zu schlagen. Der Fall des abgeschobenen tunesischen Gefährders Sami A. bietet in beiderlei Hinsicht genug Angriffsflächen.
SPD, Grüne und AfD fordern an diesem Freitag im Landtag Aufklärung vom Minister. Sie wollen wissen, wie es passieren konnte, dass Sami A. nach Tunesien abgeschoben werden konnte. Obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kurz zuvor in einem Eilbeschluss entschieden hatte, dass er wegen möglicher Foltergefahr in Deutschland bleiben müsse. Dieser Beschluss wurde jedoch erst übermittelt, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs war.
Dem hält der Minister das entgegen, was jeder Politiker nur einmal aufs Spiel setzen kann: seine persönliche Glaubwürdigkeit. Er habe alles daran gesetzt, dass die Übergabe von Sami A. an die tunesischen Behörden völlig rechtskonform stattfinden konnte. „Dafür übernehme ich die volle Verantwortung“, sagt Stamp.
Der stellvertretende Ministerpräsident fährt in der gemeinsamen Sitzung des Rechts- und des Integrationsausschusses des Landtages eine mehrgleisige Strategie. Sehr ausführlich legt er dar, wie gefährlich Sami A. sei. 1997 sei der Gefährder zu Studienzwecken legal nach Deutschland eingereist. In den Jahren 1999 und 2000 soll er eine militärische Ausbildung erhalten und der Leibgarde von Osama bin Laden angehört haben. Das Oberverwaltungsgericht Münster habe dies 2015 als erwiesen angesehen und attestiert, dass von ihm eine akute erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Dies habe Sami A. versucht, durch die Legende einer religiösen Ausbildung zu kaschieren. Zu einem späteren Zeitpunkt habe er die Opfer des IS-Attentats auf den Berliner Weihnachtsmarkt als „verdiente Strafe“ bezeichnet, so Stamp. Gegenüber einer Zeugin habe er gesagt, Deutschland werde Blut weinen, wenn er ausgewiesen werde. Als Sami A. zuletzt in der Abschiebehaftanstalt Büren auf seine Rückführung nach Tunesien wartete, gab es laut Stamp viele Besuchsanfragen aus extremistischen Kreisen. Auch Verstöße gegen die Meldeauflagen seien vorgekommen – das Handy habe er des Öfteren ausgeschaltet. Detailliert schildert der Minister diese Zusammenhänge, und der Subtext lautet: Im Ergebnis ist es doch richtig, dass Sami A. außer Landes ist.
Doch um diese Frage geht es an diesem Tag im Landtag gar nicht. Sondern darum, ob die Abschiebung rechtens war oder ob im Eifer, den Gefährder so schnell wie möglich abzuschieben – oder wie Stamp es nennt, „zügig und diskret“ – gegen einen Gerichtsbeschluss und damit gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen wurde.
Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt. Im Landtag stellt sie der Rechtsexperte der Grünen, Stefan Engstfeld: „Die große Frage ist, warum wusste das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nichts von der bevorstehenden Abschiebung?“ Insbesondere die Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und dem NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) müsse näher beleuchtet werden: „Hat das MKFFI dem Bamf nicht gesagt, dass ein Charterflug zur Abschiebung bestellt war? Oder hat das MKFFI es dem Bamf gesagt und das Bamf hat das gegenüber dem Gericht weggelassen?“
Stamp antwortet darauf so: „Wir haben die Bundespolizei eingebunden, zur Einbindung des Bamf waren wir nicht verpflichtet, und das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen war in der Sache gar nicht unser Gesprächspartner.“ Das Bamf habe nur im Ministerium angefragt, ob der vorherige Flug am 12.7. gecancelt worden sei – und das habe das Ministerium wahrheitsgemäß mit ja beantwortet. „Wir hatten nicht das Ziel, ein Gericht zu überlisten“, so Stamp, sondern einen Gefährder außer Landes zu bringen. Es sei „unglücklich gelaufen“, dass beim Beginn der Abschiebung nicht alle Informationen vorgelegen hätten. Aber weil es in den Behörden laufend Durchstechereien gebe, spreche das Ministerium nur mit Stellen, die zwingend informiert werden müssten.
Ob Stamps Ministerium das Bamf tatsächlich nicht hätte einbinden müssen, ist offenbar allerdings noch nicht abschließend geklärt. In Justizkreisen heißt es, zwar gebe es keine Verpflichtung zu einer solchen Information. Es entspreche aber gängiger Staatspraxis, das Bamf in einem solchen Fall entsprechend einzubinden. An genau diesem Punkt greift Stamps Strategie erneut. Der Minister sagt nämlich, dass es sich bei Sami A. aus prozessualer Sicht eben nicht um einen gängigen, sondern um einen ganz besonderen Fall handele. Beim Zusammenspiel der einzelnen Behörden hat es diese Konstellation einer Staatssekretärin zufolge in NRW so noch nie gegeben.
Am Ende rückt auch das Bundesinnenministerium noch einmal ins Zentrum des Geschehens. SPD-Fraktionsvize Wolf will wissen, warum Stamp vor der Landung des Fliegers mit Sami A. nichts mehr unternommen habe, um die Abschiebung noch zu stoppen. Der Minister sah hierfür jedoch selbst keine Handhabe mehr: „Die Person wurde der Bundespolizei übergeben“. Und die untersteht dem Bundesinnenminister.
- wie die Politik ein ernsthaftes Problem in unverantwortlicher Weise zur Herausforderung umettikettiert und zur Chance schönredet.
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