Köln -
Jede weitere Mail, jeder weitere Anruf macht den Stein schwerer, der Andreas Hupke auf der Seele liegt. Das Problem, weswegen sich die Menschen an ihn wenden, kennt der Bezirksbürgermeister der Innenstadt nur zu gut. Er selbst ist schon „Opfer“ geworden.
Und gerne würde er das Problem lösen, ohne es an die „große Glocke“ zu hängen. Jedoch: „Alle ducken sich weg.“ Weder bei den Sozialverbänden noch in den Gremien habe er das Gefühl, auf Diskussionsbereitschaft zu treffen. „Doch jetzt ist die seelische Last zu groß“, sagt er. Deshalb wandte er sich an die Rundschau, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen über obdachlose Menschen aus Osteuropa in den Straßen der Kölner Innenstadt.
Den Rausch im Hauseingang ausschlafen oder gar die Notdurft in Eingangsbereich verrichten – das sind Probleme, unter denen unter anderem die Anwohner der Deutzer Freiheit leiden.
Eins vorab: „Es geht nicht um Repression, es geht um Prävention“, betont der Grünen-Politiker. Er will die Menschen, deren extremes Elend ins Auge sticht und die zumeist aus Rumänien und Bulgarien kommen, nicht vertreiben. „Wir brauchen ein neues Elendsmanagement“, sagt er. Die klassischen Hilfsprogramme würden in diesen Fällen einfach nicht mehr greifen. Und das bestätigt auch eine Forschungsarbeit über die Zustände in Köln. Ein Experte bestätigt darin, dass seit mindestens fünf Jahren die Probleme mit der „Elendsmigration“ in der Domstadt akut sind und auch in Zukunft nicht geringer werden.
Extremer Alkoholmissbrauch – aggressives Verhalten
Immer mehr würde er Menschen aus südosteuropäischen Ländern in der Innenstadt ausmachen, berichtet der Bezirksbürgermeister. „Seit Jahren nimmt es zu.“ Obdachlose, wie es sie grundlegend schon immer in Köln gab. Doch in diesen Fällen käme eine extreme Form des Alkoholmissbrauchs und damit einhergehend ein hohes Maß der Verwahrlosung dazu. Das schlimmste jedoch sei die Aggressivität. Hupke weiß, wovon er spricht.
Andreas Hupke (Grüne) will eine breite Debatte anstoßen.
Vor einiger Zeit wurde er Zeuge, wie eine Frau an der Deutzer Freiheit von stark alkoholisierten Obdachlosen aus Osteuropa angegangen wurde. Es kam soweit, dass sich einer der Männer auf offener Straße entblößte. Hupke griff ein – was zur Folge hatte, dass er in den Fokus geriet. Als er sogar noch in eine Imbissbude verfolgt wurde, rief er die Polizei. Die Personalien der Männer wurden aufgenommen. Die Anzeige lief dennoch in Leere. Der Bezirksbürgermeister zieht einen Brief der Staatsanwaltschaft aus der Schublade: „Verfahren eingestellt.“ Die Beschuldigten waren mangels Wohnsitz nicht mehr auffindbar.
Immer mehr Hilfegesuche aus der Bevölkerung
Hupke würde wohl den Brief ad Acta legen und den Mantel des Schweigens darüber decken, wären da nicht die Mails und die Anrufe. „In den vergangenen Wochen habe ich über 20 Schreiben zu dem Thema bekommen. Und das ist ja nur die Spitze des Eisberges, also die Betroffenen, bei denen der Leidensdruck so hoch ist, dass sie Hilfe suchen.“ Auch dabei ist es dem Politiker wichtig zu betonen: „Keiner der Schreiber oder Anrufer schüren rassistische Vorurteile. Sie sind einfach nur schockiert über die Zustände und sehen nicht, dass es in der Stadt Lösungsansätze gibt.“
Unter den Schreibern ist eine öffentlich rechtliche Institution. Betroffen sei man, seit die Stadt im Umfeld des Hauses Bänke aufgestellt habe. So groß die Freude über die neuen und ansonsten eher dünn gesäten Sitzgelegenheiten gewesen sei, zu nutzen seien sie nicht: Besetzt meist von Obdachlosen aus Rumänien und Bulgarien, mit den Randerscheinungen extremer Alkoholgenuss, befremdliche Aggressivität und ein hohes Maß an Verwahrlosung. Inhaber von Lebensmittelgeschäften beschweren sich über entsprechende Szenarien vor ihren Läden. Anwohner berichten, dass die Obdachlosen aus Osteuropa unter der Severinsbrücke campen. Betrunken lägen sie vor ihren Zelten. Die Notdurft werde in Einfahrten und Hauseingängen verrichtet.
„Das hat nichts mehr mit dem kölschen Clochard von früher zu tun“, sagt Hupke. Aus Gesprächen mit Hilfsorganisationen weiß er, dass die osteuropäischen Obdachlosen sich oft den gängigen Angeboten verweigern, oder dass die Helfer an Sprachbarrieren und an Aggressivität scheitern würden. „Wir müssen das Problem angehen“, sagt Hupke. „Lassen wir es laufen, wird es mehr und mehr zum Nährboden für die Rechten.“
Köln ist so genannte „arrival city“ – also Ankunftsstadt oder gar „Hafen“ – für Menschen aus prekären Lebensumständen aus den EU-Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien. So erklärt Dr. Thomas Münch die Entwicklung in der Obdachlosenszene im Jahresbericht des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM). „Daran wird sich auch nichts ändern“, sagt der Sozialarbeiter und Professor für Verwaltung und Organisation an der Hochschule Düsseldorf. Begonnen habe die Elendsmigration nach Köln im Sommer 2012. Auch fünf Jahre danach sei in der Domstadt erkennbar, dass die Probleme immer noch vorhanden sind.
Münchs Einschätzungen liegt die Forschungsarbeit „Südosteuropäische Elendsmigration in Köln“ zugrunde, 2013 unter seiner Mithilfe erstellt von der Hochschule Düsseldorf und dem Kölner Arbeitslosen Zentrum. Dafür wurden Hilfsorganisationen vor Ort und Obdachlose aus Rumänien und Bulgarien befragt. In den Einrichtungen für Obdachlose habe sich die „Atmosphäre“ durch die Neuzugänge verändert, ist in dem Bericht zu lesen. „Es kommt verstärkt zu Konflikten mit hohem Regelungsbedarf.“ Die Stammgruppe der Hilfesuchenden weiche aus.
Wie hoch ist die Zahl der zugewanderten Obdachlosen? Die Aussagen dazu sind in dem Bericht extrem abweichend. Die Zahlen reichen von 150 bis zu 3000. Jedoch werden in dem Bericht alle sogenannten „Elendsmigranten“ aufgeführt. Auch solche, die in Familienverbänden mit Wohnung Anschluss finden. Von allen Befragten gaben zwölf Prozent an, ausschließlich auf der Straße zu leben und das in der Innenstadt.
Sucht ist die Regel
Rund 50 Prozent der befragten Helfer sagen, dass es wegen dieser Gruppe in den Einrichtungen vermehrt zu verbaler und körperlicher Aggression kommt. Suchterkrankungen, zumeist durch Alkohol, sind die Regel. Die Sucht wird durch Betteln finanziert. Die Obdachloseneinrichtungen sind auf diese Klientel aber nicht ausreichend eingestellt. Wiederum rund 50 Prozent der Helfer sagen, ihre Angebote passen nicht zu den Bedürfnissen der Menschen aus Rumänien und Bulgarien. „Mehr als 80 Prozent haben keinerlei Ansprechpartner für die Ratsuchenden“, ist zu lesen.
Die Konflikte enden nicht bei Verlassen der Hilfseinrichtungen. Heimische Obdachlose berichten von einem Verdrängungskampf auf der Straße. Vor allem, wenn es ums „Schnorren“ und ums „Schlafen“ geht.
Auch nach Verbesserungsvorschlägen haben die Forscher gefragt. Ganz oben auf der Liste: Die Einrichtungen wünschen sich Unterstützung bei der Verbesserung der „Sprach- und Kulturkompetenz“. Spezielle Hilfsangebote seien vonnöten. Auch bräuchte es entsprechende Informationsmaterialien.
Zu aktuellen Informationen halten sich die Organisationen auf Nachfrage der Rundschau bedeckt. Zum Teil gibt es Bedenken wegen des „sensiblen Themas“. Auch wird darauf verwiesen, dass es in der Ferienzeit an Ansprechpartnern fehle. Der SKM kann berichten, dass er mittlerweile Streetworker, spezialisiert auf die „Elendsmigranten“, beschäftigt. Ingo Schmitz
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