Bergneustadt. Wann genau die Stadt die Kontrolle verloren hat über den Platz vor dem Rathaus, kann man nicht an einem Datum festmachen. Sicher ist, dass die Zustände dort 2016 zunehmend aus dem Ruder gerieten. Der Platz allmorgendlich vermüllt, Fußbälle, die im Gartenrestaurant der benachbarten Pizzeria landeten, Frauen, die sich aus Angst vor Pöbeleien abends nicht mehr über den Platz trauten – die Beschwerden von Bürgern, Gastronomen und Geschäftsleuten häuften sich.
Als sich das alles mit den ersten warmen Frühlingstagen 2017 zu wiederholen drohte, entschloss sich die Stadtverwaltung, dem ein Ende zu setzen: Sie engagierte einen privaten Wachdienst, der seit Ostern an sieben Tagen in der Woche ab dem späten Nachmittag im Stadtzentrum seine Runden dreht. Und dabei auf meist ausländische Jugendliche trifft, die mit Regeln, Ordnung und freundlichem Umgang wenig am Hut haben. Junge Türken bilden die größte Gruppe, die mit griechisch-türkischen Wurzeln darunter sind den Sicherheitsleuten von Anfang an als besonders uneinsichtig aufgefallen. Mit Alkohol und als Wildpinkler in der Innenstadt fallen auch Asylbewerber immer wieder auf.
„Es war höchste Zeit, eine rote Linie zu ziehen und klar zu machen, dass wir solche Zustände in der Stadt nicht länger dulden“, begründet Bürgermeister Wilfried Holberg den Einsatz des Sicherheitsdienstes. „Und wir werden die Probleme und ihre Verursacher beim Namen nennen.“
Die Wachleute haben von der Stadt Hausrecht auf den öffentlichen Flächen bekommen. Sie können Personalien feststellen und Platzverweise erteilen. Frank Weichert ist Chef der Sicherheitsfirma, zusammen mit Peter Döhl übernimmt er die Streifengänge in Bergneustadt meist selbst.
Der Müll wandert mit: So sieht’s inzwischen am Alleenradweg aus.
Dass sie dabei immer wieder auch einen Wachhund dabei haben, half manch knifflige Situation zu entschärfen. „Hinter dem Krawinkelsaal waren wir plötzlich von etwa 30 bis 40 aggressiven Jugendlichen eingekesselt“, berichtet Döhl. Die Wachleute hatten Rauschgiftgeschäfte beobachtet. Ohne Hund hätte es für sie schlecht ausgehen können. Zweimal mussten sie nach eigenen Angaben seit Ostern in solchen Situationen schon Pfeffergel einsetzen, zweimal riefen sie die Polizei hinzu.
Dass die nicht immer so schnell reagiert, wie gewünscht, werde sich hoffentlich verbessern, wenn Bergneustadt wie alle anderen Kommunen mit dem Kreis eine Ordnungspartnerschaft mit einheitlichen Regeln und Vorgaben abgeschlossen hat, hofft Holberg. Auch um zu verhindern, dass die Polizei die Wachleute bittet, einen Festgenommenen selbst zur Wache nach Gummersbach zu bringen, man habe gerade keinen Streifenwagen frei.
Weichert und seine Kollegen haben einen harten Kern von 30 jungen Männern ausgemacht, auf die sie immer wieder stoßen. Um die gruppieren sich zwischen 80 und 100 andere junge Leute. „Die Jüngeren nehmen sich die Haupttäter zum Vorbild, wollen so sein, wie die.“ Der Rathausplatz hat sich als Treffpunkt in der Szene herumgesprochen, längst tummeln sich dort auch Jugendliche aus Reichshof, Gummersbach oder Engelskirchen.
Holberg und sein Vertreter Johannes Drexler begleiteten die Sicherheitsleute in dieser Woche auf ihrem abendlichen Streifengang. Vor dem Treffen auf dem Rathausplatz haben Weichert und Döhl bereits die ersten Platzverweise erteilt: Vier betrunkene Männer, vermutlich Russen, haben sich hinter der Jugendbegegnungsstätte Krawinkel schon am frühen Abend die Kante gegeben. Auf öffentlichen Flächen und Plätzen im Stadtzentrum ist das Trinken von Alkohol genauso verboten wie Lärmbelästigung und das Vermüllen. Auf dem Rathausplatz sind auch Ballspielen und Radfahren untersagt.
Der Einsatz der Wachleute zeigte schon in den ersten Wochen Erfolge: „Verkäuferinnen aus den Geschäften oder den Arztpraxen können nach Feierabend wieder unbehelligt nach Hause gehen. Viele haben sich bei uns bedankt“, berichtet Weichert. Auch die Vermüllung mit ausgespuckten Schalen von Sonnenblumenkernen, Chipstüten und Getränkedosen hat vor dem Rathaus schon nachgelassen. Aber nur da.
Der Wachdienst löst das Problem nicht, er verdrängt es im wahrsten Sinne des Wortes. Die Störer weichen aus, wie man an den total vermüllten Rändern des neuen Alleenradwegs in Richtung Derschlag sieht. Seit der Wachdienst den Jugendlichen auch bis hierher folgt, haben die sich in die Büsche geschlagen und auf das Gelände eines Autohauses verzogen. Bis auf den Alleenradweg hört man Gelächter, Musik und Flaschenklirren.
Auf dem Radweg kommt Holberg mit fünf Jugendlichen ins Gespräch. Die finden gut, dass es den Wachdienst gibt, sagen aber auch, dass für Jugendliche in der Stadt zu wenig geboten wird. Drexler lädt sie ein zum Fußballspielen freitags in die alte Burstenhalle: Dort organisiert der städtische Streetworker Bünyamin Yilmaz ein „Night-Soccer“.
Etwa 20 Meter entfernt bemerkt Holberg einen Wildpinkler und staucht ihn auf Englisch zusammen: So etwas mache man nicht in Deutschland. Wer sich nicht benehme, müsse gehen. Der junge Mann, offenbar ein Flüchtling auf dem Weg in die Unterkunft auf dem Sandvik-Gelände, stammelt „Entschuldigung“ und macht sich davon.
Auf dem Weg in die Grünanlage Talstraße spricht eine Anwohnerin die Gruppe an und berichtet, dass sobald die Wachleute abends weg seien, das Treiben vor dem Rathaus weitergehe. Weichert verspricht, bald auch spätabends vorbeizukommen: „Wir wollen die Störer nerven, ihnen ihr Treiben madig machen.“
Bislang scheint das Konzept zumindest auf den städtischen Flächen im Ortskern aufzugehen. Die Autoraserei mit aufheulenden Motoren auf der Bahnstraße und der B 55 oder die von Hochzeitsgesellschaften lahmgelegten Kreisverkehre hat man damit noch nicht im Griff. Da müssen sich sich Stadt und Polizei noch etwas einfallen lassen.
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